Vertritt der EuGH ein „Volksverständnis“, das sich dem Rechtsnationalismus öffnet?

 

Europäischer Gerichtshof (EuGH). Bild: Luxofluxo/CC BY-SA-4.0

Es ist grotesk mitanzusehen, wie der Verfassungsschutz zu einer die Wahrheit verkündenden, angeblich neutralen Organisation aufgestiegen ist. Der dem Innenministerium unterstellte Verfassungsschutz, der als antikommunistische Behörde, durchsetzt mit Altnazis von der Gestapo und Co. begann, war lange Zeit auf dem rechten Auge blind. Dafür aber auch personell mit der NPD und selbst mit dem NSU verflochten. Mittlerweile soll er auch die „Delegitimierung des Staates“ abwehren und gilt als Instanz, die „gesicherte“ Erkenntnis verbreiten kann, auf die sich die politischen Auftraggeber berufen kann.

Derart gesichert hat der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremistisch eingestuft. Das Gutachten, mit dem dies begründet wird, wurde allerdings unter Verschluss gehalten. Man muss dem Verfassungsschutz also seine gesicherten Erkenntnisse glauben. Im Kern scheint es darum zu gehen, dass das „in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis“ nicht mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung vereinbar sei. Nach einer Klage der AfD hat der Verfassungsschutz eine Stillhaltezusage abgegeben. Die Einstufung wird bis zu einer gerichtlichen Entscheidung im Eilverfahren vorläufig ausgesetzt.

Interessant in diesem Zusammenhang ist ein Urteil des Europäische Gerichtshofs (EuGH), das für Aufsehen gesorgt hat, vielfach, weil es angeblich schlecht und schwach begründet ist, wie Beiträge auf dem Verfassungsblog monierten. Die EU-Kommission hatte gegen Malta geklagt, das die Staatsangehörigkeit seit 2014 gegen Zahlungen und Investitionen in Höhe von mindestens 600.000 Euro anbot (Goldener Pass). Man konnte also in Malta Staats- und damit gleichzeitig EU-Bürger werden, indem man entsprechend dafür bezahlte. Das verstoße gegen Art. 20 AEUV, der eine Unionsbürgerschaft einführt, und Art. 4 Abs. 3 EUV (Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit der EU mit den Mitgliedstaaten) machte die EU-Kommission geltend.

Im März 2022 verband EU-Justizkommissar Didier Reynders die Staatsbürgerschaft mit nicht näher genannten europäischen Werten: „Unsere europäischen Werte stehen nicht zum Verkauf. Wir sind der Auffassung, dass der Verkauf von Staatsbürgerschaften über sogenannte goldene Pässe nach EU-Recht illegal ist und unsere Sicherheit ernsthaft gefährdet. Er öffnet Tür und Tor für Korruption, Geldwäsche und Steuervermeidung. Alle betroffenen Mitgliedstaaten sollten ihre Staatsbürgerschaftsregelungen für Investoren sofort abschaffen. Darüber hinaus sollten sie erwägen, Personen, gegen die Sanktionen verhängt wurden oder die Putins Krieg maßgeblich unterstützen, bereits gewährte goldene Pässe zu entziehen.“ Dabei ging es nicht nur um Investoren, sondern auch darum, russische und belarussische Bürger den Einkauf zu verweigern, zumal wenn sie den Krieg in der Ukraine unterstützen. Man muss dem entnehmen, dass russische und belarussische Bürger, die eine falsche Gesinnung haben, nicht eingebürgert werden sollen.

„Echte Bindung an das Land“

Das Gericht kam zum Schluss, dass zwar die Mitgliedsstaaten weiter über die Staatsbürgerschaft entscheiden können, aber dass eine Kommerzialisierung durch den Verkauf „trotz Fehlens einer echten Bindung der Antragsteller an das Land“ gegen EU-Recht verstoße und das Vertrauen zwischen den Mitgliedsländern untergrabe, weil damit auch die Unionsbürgerschaft gekauft wird: „Infolgedessen darf ein Mitgliedstaat seine Staatsangehörigkeit – und damit die Unionsbürgerschaft – nicht gegen im Voraus festgelegte Zahlungen oder Investitionen verleihen, denn dies läuft im Wesentlichen darauf hinaus, dass der Erwerb der Staatsangehörigkeit zu einer bloßen geschäftlichen Transaktion wird.“

Nun wird kaum jemand etwas dagegen haben, Reiche daran zu hindern, sich in alle Länder einzukaufen, während dies allen anderen nicht möglich ist. Aber der Hinweis auf die Notwendigkeit einer „echten Bindung“ bleibt nebulös und könnte die Gewährung der Staatsbürgerschaft, die die einzelnen Länder mit ihren Einbürgerungsvorschriften regeln, einschränken bzw. bestimmte Personengruppen ausschließen.

Deutschland etwa verlangt zur Einbürgerung: „Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes und zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens, sowie zum friedlichen Zusammenleben der Völker und dem Verbot der Führung eines Angriffskrieges.“ Neben einem Sprachtest soll ein „Einbürgerungstest“ den „Nachweis über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland“ dokumentieren. Das Gericht wirft nun die Frage auf, ob die Unionsbürgerschaft der EU-Kommission erlaubt, andere Bekenntnisse und Nachweise für die „echte Bindung“ zu fordern, die in Widerspruch zu den Einbürgerungsgesetzen der Mitgliedsländer stehen können.

Das Gericht argumentiert, „aus einer gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs“ ergebe sich, „dass dem Staatsangehörigkeitsband eines Mitgliedstaats das zwischen ihm und seinen Staatsbürgern bestehende besondere Verbundenheits- und Loyalitätsverhältnis sowie die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten zugrunde liegen“. Die große Frage ist, wie das „besondere Verbundenheits- und Loyalitätsverhältnis“ aussehen soll, dessen Fehlen Menschen von der Staatsbürgerschaft ausschließt. Rechte sagen gerne: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!“

Erst einmal scheint das Urteil zu sagen, dass nicht jeder die Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedslandes erhalten darf. Es kommt auf die Beziehung eines Menschen zu einem Staat an. Allerdings ist von einem ethnischen Vorbehalt nicht die Rede, sondern, wenn man so will, nur von einem politisch-kulturellen. Allerdings könnte argumentiert werden, was von rechter Seite so gemacht wird, dass etwa muslimische Flüchtlinge oder Einwanderer nicht ausreichend loyal zum demokratischen System sein könnten, weil sie die Religion höher setzen. Vorstellen ließe sich auch, Linke, die das der EU zugrundeliegende kapitalistische System abschaffen wollen, mangelnde Verbundenheit und Loyalität mit dem Staat vorzuwerfen.  Und was ist mit den Bürgern von EU-Mitgliedsstaaten, die aus der EU und damit aus der Unionsbürgerschaft austreten wollen. Sie sie mit der europäischen Community verbunden und stehen loyal zu ihr?

„Legale“ und „wahrhaftigen“ Bürger

Im Hintergrund der Auseinandersetzung stehen mehr als die zwei Positionen, die Luke Dimitrios Spieker auf dem Verfassungsblog ins Spiel bringt: „Generell kann man zwischen einem liberalen und einem republikanischen Verständnis von Staatsbürgerschaft unterscheiden. In liberalen Auffassungen wird die Staatsbürgerschaft als ein formaler Rechtsstatus verstanden, der bestimmte Rechte begründet. Die Pflichten der Bürger bleiben eher gering (z. B. das Befolgen des Gesetzes oder das Zahlen von Steuern). In republikanischen Konzepten wird die Staatsbürgerschaft dagegen umfassender definiert. Nach dieser Auffassung sind die Bürger mehr als nur Verbraucher: Sie sind aktive Mitglieder einer politischen Gemeinschaft. Während liberale Konzepte den Schwerpunkt auf Status und Rechte legen, betonen republikanische Konzepte Aktivität und Pflichten.“ Der EuGH hat nach seiner Ansicht ein republikanisches Konzept vertreten, das weiten Spieltraum lasse und nur eine Kommerzialisierung der Staatsbürgerschaft ausschließt.

Henley & Partners kritisieren aus eigenem Interesse, weil sie „Staatsbürgerschaft durch Investition“ vermitteln, das Urteil, weil „Staatsbürgerschaft durch Investition“ ein legitimes, weltweit praktiziertes Konzept sei, um Investoren anzuziehen, die sich damit auch engagieren. „Die derzeitige Überprüfung des maltesischen Programms und die Entscheidung des EuGH müssen auch in einem größeren Zusammenhang gesehen werden. Allein im Jahr 2023 haben die EU-Mitgliedstaaten zusammen mehr als 1,1 Millionen Staatsbürgerschaften vergeben – und das oft auf der Grundlage von schwachen Verbindungen zu dem Land, das die Staatsbürgerschaft vergibt, wie z. B. einer entfernten Abstammung, ohne eine aktuelle Verbindung zu dem Land, das die Staatsbürgerschaft vergibt, und ohne andere formale Anforderungen, wie Investitionen oder Aufenthaltsdauer oder andere Anforderungen. Darüber hinaus gehören zu den größten Empfängern der EU-Staatsbürgerschaft Staatsangehörige aus Hochrisikoländern wie Marokko und Syrien, wobei über 100.000 Staatsbürgerschaften an Personen aus jedem dieser Länder vergeben wurden. Vor diesem Hintergrund rechtfertigen die wenigen hundert Staatsbürgerschaften, die Malta jährlich unter strengsten Sicherheits- und Zuverlässigkeitsüberprüfungen vergibt, kaum die von der Kommission verbreitete und im EuGH-Urteil aufgegriffene faktenferne, alarmistische Darstellung.“

Daneben gibt es eben auch ethnisch-kulturelle Aspekte der Verbundenheit, also beispielsweise die Akzeptanz der Leitkultur oder die Notwendigkeit, die jeweilige Nationalsprache zu beherrschen, geben. Der Gerichtshof räumt der EU das Recht ein, in die nationalen Einbürgerungsregeln einzugreifen, da diese mit der Unionsbürgerschaft übereinstimmen müssen. Die Frage ist, ob der EuGH mit seinem Urteil die Tür für eine nationale Identität geöffnet hat, die die Freizügigkeit innerhalb der EU, basierend auf Rechten unabhängig von Herkunft, Religion, Sprache, politische oder sonstige Weltanschauung, einschränken würde.

Rechtsprofessor Dimitry V. Kochenov argumentiert, das Urteil fundiere Staatsbürgerschaft nicht mehr im Recht, sondern in eine andere, extralegale Beziehung zwischen einer Person und dem Staat. Das Gericht beende die liberale Position gegenüber den Nationalstaaten: „Das Urteil der Kommission gegen Malta erschüttert diese Vision. Anstatt die Mitgliedstaaten im Namen des Ideals einer toleranten Staatsbürgerschaft zu bekämpfen und für die Rechte der Europäer einzutreten, geht die Union, nachdem sie ‚Nein‘ zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gesagt hat, nun stattdessen mit kleinlichen Nationalismen hausieren, indem sie die Mitgliedstaaten belehrt, dass es bloße ‚legale‘ Bürger“ und auch ‚wahrhaftigen‘ Bürger gibt, die von dem ‚Band der Solidarität und des guten Glaubens‘ profitieren, das das EU-Recht verlangt: Die Annahme, dass dieses Band nicht besteht, ist der Kern der Verunglimpfung einer Gruppe von Europäern in der Rechtssache Kommission gegen Malta.“ Für ihn öffnet das die Türen, eine Staatsbürgerschaft für Personen zu verweigern, die nun als „Fake-Europäer aus extralegalen Gründen“ gelten: „Du kannst der nächste sein.“

Auf dem Hintergrund des Urteils Kommission vs. Malta muss man die vom Oberlandesgericht Münster bestätigte Aussage des Verfassungsschutzes über den „gesicherten“ Rechtsextremismus der AfD noch einmal lesen: „Verfassungswidrig und mit der Menschenwürde unvereinbar ist nicht die deskriptive Verwendung eines ‚ethnisch-kulturellen Volksbegriffs‘, aber dessen Verknüpfung mit einer politischen Zielsetzung, mit der die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage gestellt wird.“

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8 Kommentare

  1. Dass das liberale Staatsbürgerschaftskonzept nun angeschlagen zu sein scheint, ist natürlich eine gute Nachricht.

    Andererseits muss es natürlich besorgt machen, dass sich die EU bzw. der EuGH nun anmaßt, auch bei diesem Thema mehr als bisher in nationale Befugnisse hinein zu regieren.

    Dass das Urteil des Oberlandesgericht Münster von manchen Gegnern der AfD teilweise falsch interpretiert worden ist und keineswegs eine Leugnung der Existenz einer deutschen Ethnie neben der deutschen Staatsbürgerschaft bedeutet, hat ja schon seit einiger Zeit die Runde gemacht.

    Es ist zu hoffen, dass die neue Rechtsprechung zusammen mit dem migrationskritischen Umsteuern so einiger EU-Staaten (z.B. Niederlande, Dänemark, Ungarn, Polen, Tschschechien sowie neuerdings offenbar auch Frankreich) sowie der ebenfalls migrationskritischen neuen Linie in Großbritannien zu einer wirklichen Neuausrichtung der Einwanderungspolitik und der Vergabe von Staatsbürgerschaften führt.
    Es ist höchste Zeit!

  2. Der 17-seitige Auszug vom Verfassungsschutz-Gutachten ist seit einer Woche im Netz verfügbar, inzwischen auch das vollständige Gutachten. Da hat sich jemand die Mühe gemacht alle 1108 Seiten einzeln einzuscannen. War wohl nur eine Frage der Zeit bis es öffentlich wurde.

      1. Kann sich die afd wenigstens nicht mehr beschweren, dass sie nichts zu lesen hätte. Laut lto hatte sie das Gutachten aber auch schon selber.

  3. Interessanter Artikel, verzettelt sich aber auch ganz schön.
    Die Kriterien in Deutschland sind eher formell, wer unserer FDGO feindlich gegenübersteht, lernt sie halt und käut sie wieder, ohne sich damit zu verbinden. Die Drahtzieher des islamistischen Terrors in Europa stammen alle aus gut situierten Berufen und sprechen immer perfekt die Landessprache, der Effekt solcher Kriterien ist an dieser Stelle gleich Null.
    Dennoch braucht es sie in moderater Form, weil man irgendwelche Standards ansetzen muß, nur die Einforderung von Sprachkenntnissen ist teilweise effektiv und muß sein weil es schlicht eine Zumutung für Einheimische ist wenn zuviele Leute ohne Landessprache rumlaufen.
    Letztlich ist es weitaus wichtiger über kulturelle Probleme zu reden und daran hat auch die Rechte kein Interesse, wird aber dennoch immer stärker solange man nicht ausreichend über die immensen Probleme redet die v.a. Teile der Muslime verursachen, mit rassistischen, überreligiösen und kulturfaschistischen Vorurteilen die sich primär gegen Deutsche richten, aber auch gegen andere Migranten, und nicht zuletzt auch gegen liberale Muslime.

    1. Was meinen sie mit Verzettelung und FDGO?
      Der Artikel war sehr erfrischend IMHO.
      Ab spätestens „Dennoch“ ist es ja ihre Meinung und keine Sachlichkeit, die man ja nicht teilen muss.😉

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