Leichter als Luft, Folge 36 — Tädeus von Tadelshofen

Berlin, Quadriga
Quelle: Pixabay

Jonathan Rischkes Vorstoß in die höchsten Kreise der Gesellschaft führte ihn als Begleiter des geheimnisvollen Tädeus von Tadelshofen in einen Country-Club nahe Brandenburg. Dort trifft er auf einen Weltstar. Der Kanarienquex und Donna Fauna versuchen derweil, ihre Beziehung zu reparieren.

 

Auf die Terrasse trat eine illustre Gesellschaft. Ein kräftiger Mittsechziger mit polierter Vollglatze, scharfkantiger Spiegelsonnenbrille und einem kunstvoll gezwirbelten Schnauzbart erheblichen Ausmaßes war erkennbar das Zentrum dieser lautstark und fröhlich in die Szene brechenden Kumpanei.

Jonathan traute seinen Augen nicht: Berger-Grün! Das war leibhaftig Pavel Berger-Grün!

Durch den wimmelnden Schwarm seiner Entourage hindurch erspähte der weltweit gefeierte Star-Regisseur schließlich von Tadelshofen. »Teddy! Old chap! I am delighted to find you here! How are you doing?«, polterte Berger-Grün los. »Well, Pavelinsky: I appear to rest. Jolly and idle.«

»Truly, Teddy! You do live up to the values of the leisured classes!« – »A man of independent means, they used to call it …«, gab von Tadelshofen gelassen zurück.

Rischke war baff. Pavel Berger-Grün live und in persona zu begegnen, erschien ihm unwahrscheinlich genug. Dass von Tadelshofen diesen Superstar des internationalen Kinos nicht nur persönlich kannte, sondern dieser offenkundig die freundschaftlichsten Gefühle für den Freiherrn hegte, hätte ihm glatt die Sprache verschlagen, wenn jetzt nicht Berger-Grüns Begleitschwarm in ein plapperndes Treiben ausgebrochen wäre.

Tische wurden zusammengeschoben und Stühle herangeschleppt, eine große Tafel zusammengebaut.

Jonathan wunderte sich, dass niemand hierfür ein paar Livrierte antanzen ließ. Aber anscheinend fühlte man sich heimisch genug hier, und in der Tat herrschte in kürzester Zeit Wohnzimmeratmosphäre.

Auch von den neu Hinzugekommenen wurde Champagner bestellt. Gregorij verstand freilich, dass es sich diesmal nicht nur um Gläser zu handeln hatte, und verteilte drei Flaschenkühler über den Tisch. Berger-Grün machte sich umständlich an einer Tabakpfeife zu schaffen. Von Tadelshofen entzündete einen Zigarillo, der in einem Mundstück aus Elfenbein stak.

Jonathan stieß mit Champagner an und machte sich so mit den neuen Tischnachbarn vertraut. Pedrillo Caldez, ein Spanier, saß gegenüber und war, wie sich herausstellte, nur zu Besuch in Berlin. Er war Yogalehrer, oder eher: Yoga-Unternehmer, denn er besaß eine Kette ziemlich exklusiver Yoga-Schulen. Je eine in London, Madrid, in Berlin, Tokio, Wien, Moskau, Istanbul, Stockholm und Washington DC. »DC?«, fragte Rischke zurück: »Why DC? Seems kind of odd in this order, doesn’t it?« Nun, erklärte Pedrillo, er habe ein Faible für Hauptstädte, quasi eine Sammelleidenschaft. »Like Teddy collecting ancestors and titles, right!«, warf Berger-Grün launig ein. Alle lachten ausdauernd. Auch von Tadelshofen lachte herzlich.

Neben Pedrillo saß eine bildhübsche Frau und Jonathan hoffte inständig, es sei nicht die Freundin des Yoga-Bonzen, dessen austarierter Körper Rischke sofort die Säfte höher steigen ließ. Dummerweise stellte sie sich umgehend als Pedrillos Frau vor, namens Janette Silverstone. Janette hatte ihrerseits eine Vermittlungsagentur für Schauspieler, die, wie sie beiläufig durchblicken ließ, einige Top-Promis unter Vertrag hatte. Also waren die beiden deshalb nach Berlin gekommen. Janette organisierte die Castings für das neue Filmprojekt von Berger-Grün, von dem in Andeutungen im Gespräch links neben Jonathan Rischke die Rede war, wo zwei noch recht junge Damen den neuesten Tratsch der Branche austauschten.

Von Tadelshofen besaß die Aufmerksamkeit, Rischke bei Pavel Berger-Grün einzuführen. Jonathan Rischke sei einer seiner liebsten Herzensfreude, meinte er gnadenvoll und rückte ihn als höchst selten anzutreffende Parademischung aus Jura-Superstar, Immobilienhai und Kulturmensch in das für diese Umgebung denkbar günstigste Licht. Im Übrigen sei »Nath«, wie von Tadelshofen Jonathan auf Englisch hieß, von einer solch ausgesuchten Verderbtheit, dass er direkt die Vorlage für einen neuen Berger-Grün-Film abgegeben könne.

Pavel Berger-Grün lachte schallend, stellte sich Jonathan, als ob das nötig gewesen wäre, mit selbstverständlicher Höflichkeit vor und wollte schon im nächsten Satz mehr über Rischkes Kanzlei wissen. Natürlich habe man eine eigene Rechtsabteilung, aber mitunter sei es ja doch hilfreich, auf ortskundige Kräfte zurückgreifen zu können, fallls es mit Drehgenehmigungen, überhaupt dem ganzen Kleinkrieg mit den Behörden, doch einmal Probleme gebe.

Inhaltliches wurde für den Moment über das Filmprojekt nicht gesprochen und Jonathan war auch klug genug, nicht nachzufragen. Er bekundete gerade seine Bereitschaft, jederzeit zu helfen, schon wurden alle abgelenkt, und zwar von Gregorij, der an den Tisch herangetreten war, um die Essensbestellungen aufzunehmen. Als Jonathan erfragte, ob es das sechsgängige Tagesmenü auch in einer vegetarischen Variante gebe, warf er Gregorij diesen einen Blick zu, der in der schwulen Weltkultur alles klarmacht. Gregorij bestätigte.

Während Jonathan Rischke den Tag seines Lebens feierte, in dessen weiterem Verlauf er mit von Tadelshofen, Berger-Grün und Anhang rotzbesoffen und koksselig auf einer Yacht in der wunderschönen Flusslandschaft herumschipperte – und sich hinterher für 250 Euro mit dem schönen Gregorij vergnügte, – saßen Donna Fauna und der Kanarienquex im Wartezimmer der Berliner »Schwulenberatung« in Charlottenburg.

Fauna hatte KQ diese Bedingung gestellt, ehe sie bereit war, auch nur den ersten Ansatz einer Annäherung zuzulassen. In der Beratung kamen sie dann eine Viertelstunde zu spät an, weil KQ wieder einmal die Planlosigkeit besessen hatte, in die falsche U-Bahn umzusteigen. Dann hatte er nicht vermocht, den Weg von der U-Bahnstation zur Schwulenberatung zu finden und hatte die bereits entnervte Fauna per Handy um Hilfe gebeten. Die hatte ihn zur Begrüßung angeblafft, sie sei nicht sein Schülerlotse.

Das war ausgesprochen unfair und verletzend, denn der Quex hatte einen Knick in der Optik. Es mochte dies der Urgrund seines Genies als Visionskünstler sein, zu dem sich der früher hauptberuflich als Partylöwe tätige Quex weiterentwickelt hatte. Straßenschilder konnte KQ aber nur mit großer Mühe lesen.

Den beiden war der denkbar schlechteste Start in eine Paartherapie gelungen.

Piet, der Therapeut, gab sich alle Mühe, trotzdem eine konstruktive Gesprächsatmosphäre herzustellen. Immer wieder fanden Donna und Quex zielsicher zurück in ihren jeweiligen Schützengraben. Von dort aus beschossen sie sich unablässig mit Vorwürfen und Erwiderungen.

Als sie die Beratungsstelle verließen, waren die beiden dennoch guten Mutes. Ein erster, kleiner Schritt war getan. Dieser Piet machte einen kompetenten Eindruck. Hilfe hatte man gesucht und Hilfe war gefunden worden.

Außerdem war das Wetter fabelhaft, Indian Summer in Berlin!

Die beiden steuerten ein Eiscafé an und ließen sich Eisbecher enormen Ausmaßes kommen – als Fauna eine SMS erhielt. KQ grabschte sich das Handy, sah nur den Absendernamen und fragte: »Wer is’n das: Sexycaro?« Faunas Beteuerungen, es handle sich dabei um eine lesbische Freundin aus der Schulzeit, entsprachen zwar der Wahrheit, verfingen aber nicht beim Quex. Nach einem Wortgefecht, das das halbe Eiscafé aufhorchen ließ, warf Fauna einen Zehn-Euro-Schein auf den Tisch, raffte den Rock und zog wortlos ab.

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Ein Kommentar

  1. Für zehn Euro bekommt man höchstens drei Kugeln Eis und „Mann“ muß auch noch die Waffel-Tüte, für’s Eis extra bezahlen!

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