Kurt Eisners „Großes Buch über die Schandtaten der Presse“

Kurt Eisner. Bild: gemeinfrei

 

Zur Zusammenstellung der Artikel, Dichtungen und Reden von Kurt Eisner.

Kurt Eisner (1867-1919) zählte zur kleinen Schar jener demokratischen Sozialisten in Deutschland, die sich während des ersten Weltkrieges nicht der militärischen Heilslehre und dem Obrigkeitsstaat unterwarfen. Trotz Sabotage der systemhörigen bayerischen Mehrheits-SPD (sowie der mit dieser verbandelten Gewerkschaftsfunktionäre) konnte er mit seinen Gefährtinnen und Gefährten im Januar 1918 den Antikriegs-Streik der Münchener Munitionsarbeiter auf den Weg bringen. Die Staatsmacht steckte ihn sodann fast neun Monate als „Vaterlandsverräter“ ins Gefängnis.

Im November des gleichen Jahres wollte die Spitze der weithin militär-affinen bayerischen Mehrheits-SPD, die jetzt noch enger mit der Staatsregierung und deren Sicherheitsapparat konspirierte, auch eine leibhaftige Revolution von unten vereiteln. Doch die „Unabhängigen“ der USPD-Minderheit obsiegten – mit Hilfe vor allem der Soldaten, die des Massenmordens und Massensterbens müde waren. Der Aufstand für den Frieden war überreif. Kurt Eisner wurde erster Ministerpräsident des von ihm am 7./8. November 1918 ausgerufenen Freistaates Bayern. Kein Tropfen Blut war – unter seiner Leitung – für die erste Demokratie in deutschen Landen vergossen worden. Eisner glaubte nicht an eine „Linke“, die die Gewaltpraxis der Herrschenden übernimmt und sich nach deren Art auf’s Totmachen von Menschen verlegt.

Er war – trotz anderslautender Zuschreibungen – kein „Revisionist“, sondern wollte das aggressive Wirtschaftssystem des Kapitalismus überwinden (statt es nur durch „Reformen“ zu zähmen). Doch geliefert wurde von seiner Revolutionsregierung – im Verein mit den bayerischen Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräten – auch sofort. Ab dem 12. November 1918 galten in Bayern das Frauenwahlrecht und der – dieser Tage von den hiesigen Polit-Akteuren des Kapitals erneut bedrohte – Achtstundentag. Somit war bewiesen, dass ein „Sozialismus als Aktion“ über Nacht Wunder wahr werden lassen kann …

Auf vielen Feldern könnte eine Beschäftigung mit Eisner heute auf Linke antidepressiv und inspirierend wirken. Ihm gelang das Zusammenspiel mit der jungen Generation. Sein Votum für einen antiautoritären Sozialismus bedeutete an keiner Stelle eine Aufweichung des Klassenstandpunkts und zeichnete sich u.a. durch einen ausgeprägten Sinn für die kulturellen Dimensionen des Ringens um eine andere Lebenswirklichkeit aus. Kompromisslos war seine Ablehnung von privilegierten Apparatschiks („Das Sein bestimmt das Bewusstsein!“), die besonders dort gedeihen, wo man den Realitätsbegriff der Herrschenden übernimmt und die zentrale Frage nach den politischen Subjekten ausblendet. Jene staatlich gut dotierten Ich-AG-Linken, die jüngst in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern den Bundesratsbeschluss zugunsten der neudeutschen Hochrüstung zur Weltkriegstauglichkeit ohne jede Not – in offener Verachtung für Parteiprogramm und Mitgliedermehrheit – mitgetragen haben, hätte er wohl kaum als Genossen/Genossinnen willkommen geheißen. Willige „Regierungs-Sozis“, die die Militärreligion der Reichen zulasten aller anderen Menschen mittragen, waren ihm leider schon allzu gut bekannt.

 

Zielscheibe der antipazifistischen Judenfeinde – auch in der SPD

 

Dass Kurt Eisner als Ministerpräsident wie kein anderer die Meinungsfreiheit seiner Gegner verteidigte, wurde ihm schlecht gedankt. Alle, die ihre Machtprivilegien und ihre ungerechten Besitzansprüche bedroht sahen, liebten Kurt Eisner nicht. Doch Todfeinde hat er sich vor allem gemacht durch seine Fundamentalkritik am deutschen Militarismus, die Entlarvung der Kriegslügen des Systems und die Aufklärung über die Kriegsschuld der Machthaber im eigenen Land.

Schon Anfang 1918, als Eisner persönlich glücklich war und das Leben wohl mehr liebte als in jungen Jahren, gab es eine Ahnung, dass sein pazifistischer Widerstand unter Umständen lebensgefährlich sein könnte. Während die Mehrheit weiter feige mit den Kriegswölfen heulte, war sein Mut dadurch aber nicht angefochten.

Der völkisch-antisemitische Reserveleutnant Anton Graf von Arco auf Valley (1897-1945, mütterlicherseits jüdische Vorfahren) hat Kurt Eisner am 21. Februar 1919 auf offener Straße ermordet. Vorausgegangen war eine unvorstellbare Hetze der Presse, an welcher der sozialdemokratische „Vorwärts“, die bürgerlichen Zeitungen und rechtsextreme Blätter gleichermaßen beteiligt waren. Der heimliche Konsens lautete: Friedensphilosophie und Internationalismus sind undeutsche, genauer noch: jüdische Geistesgewächse. Deshalb musste Eisner einigen Redaktionen zufolge natürlich in Wirklichkeit „Salomon Kuschinski“ o.ä. heißen …

Ja, es haben auch Akteure der M-SPD (bis hin zur bayerischen Spitze) im Rahmen der besagten Kampagne jene antipazifistische (und anti-intellektuelle) Judenfeindlichkeit unter Beweis gestellt, die dann auch als ein Grundzug im gesamten Komplex der Dolchstoß-Legende aufzuweisen ist. Schon 1916 waren nonkonformistische Sozialdemokraten mit Friedensgesinnung in der SPD-Reichstagsfraktion von rechten Genossen als „Judenbande“ und „Judenjungen“ tituliert worden.

 

„… der glänzende Journalist und streitbare Sozialist“

 

Mit dem Pressewesen, das ihn attackierte, war Eisner bestens vertraut. Er hatte seit Zurückstellung seines nur unzureichend finanzierten Studiums „von der Pike auf“ als Journalist gelernt und gearbeitet (Universal-Correspondenz 1889; Depeschenbüro Herold 1890/91; Frankfurter Zeitung 1891-1893; Hessische Landeszeitung 1893-1898; Vorwärts 1898-1905; Fränkische Post 1907-1910; Münchener Post 1910-1917, hier zuletzt nur im Kulturressort). Der Historiker Volker Ullrich vermerkt: „Kurt Eisner, der glänzende Journalist und streitbare Sozialist, war einer der ganz Großen der deutschen Arbeiterbewegung und einer der wenigen hellsichtigen Politiker im späten Kaiserreich …“ Lange sah der eigensinnige Genosse das Unheil voraus, dass aus dem deutsch-preußischen Militarismus und Großmachtstreben erwachsen musste.

Dies immunisierte ihn leider nicht gegen alle Propagandakomplexe. Ab 1912 wurde die bayerische SPD über staatliche Kanäle auf die Erzählung „Der Russe lauert vor der Tür“ getrimmt. Man wusste in der Partei, wie man mittels „Geheimwissen“ auch Eisner mit den – in der Sozialdemokratie schon lange tradierten – Scheuklappen eines alsbald sehr nützlichen „Antizarismus“ versehen konnte.

Die SPD hatte jedoch ein zwiespältiges Verhältnis zu ihrem zweifellos profiliertesten Zeitungsmacher. Schon am Vorabend des Weltkrieges hatte dieser unter prekären Verhältnissen gearbeitet, was seinem Klassenstandpunkt auf Seiten der Besitzlosen entsprach. Doch da Eisner, der in den ersten Augusttagen 1914 die SPD-Parteilinie – samt Kriegskreditverteidigung – noch voll erfüllte, schnell zu seinem Antimilitarismus zurückfand, die regierungsamtliche Lüge („Russland greift uns an“) durchschaute und sich dann standhaft dem „Burgfrieden“ mit dem Kriegsstaat der Besitzenden verweigerte, verschlechterte sich seine Arbeitssituation noch weiter.

Die Zensur des Kriegsertüchtigungssystems (und der parteieigenen Presse) schlug zu: Die „Tatsache steht fest, dass unter der Zensur meine Schriften […], die ich während des Krieges geschrieben habe, seit dem Herbst 1914 nicht erscheinen konnten“ (siehe unten: Text 26). Als politischer Redakteur eines SPD-Organs kam Eisner nicht mehr in Frage. Auch sein Pressedienst „Arbeiter-Feuilleton“ (1909-1917), ein kultursozialistisches Pionierwerk auf hohem Niveau, wurde jetzt von der sozialdemokratischen Zielgruppe kaum noch genutzt.

Der „Schreiber wider den Krieg“ war kaltgestellt. Doch der Politiker Kurt Eisner, der Frauen, Männer und insbesondere auch die linke Jugend im Widerstand gegen die deutsche Militärdiktatur zusammenführte, legte jetzt erst richtig los. Ab dem 7. Dezember 1916 entwickelten sich in München die legendären Diskussionsabende im „Goldenen Anker“, die schon vor der USPD-Gründung als Keimzelle der bayerischen Revolte für den Frieden zu betrachten sind. – Eisners Freund Gustav Landauer wird dann im Dezember 1918 nachdrücklich betonen: „Man kann … von dem Ursprung dieser Revolution nicht sprechen, ohne von diesem Krieg und dem Ursprung dieses Krieges und von der Schuld an diesem Krieg zu sprechen.“

 

Kritik der Kriegsmedien und der intellektuellen Prostitution

 

Der Linkspazifist Kurt Eisner wollte politisch handeln und die Vielen, denen er eigenes Verständnis zutraute, aufwecken, ermutigen. Als Dichter, Journalist, Feuilletonist und Satiriker hat er aber eben auch mit der Feder meisterhaft wider den deutschen Militarismus gestritten. Zu selten wird seine – über Jahrzehnte bewährte – Kritik der Kriegsmedien hervorgehoben: seine Überzeugung, dass gerade auch „die bürgerliche verbrecherische Presse die Schuld hat an dem Kriege und der Verlängerung des Krieges“ (siehe unten Text 26). Am 30. November 1918 teilte er vor den bayerischen Soldatenräten mit: „Die Presse kann in einer gewissen Hinsicht froh sein, dass ich durch die gegenwärtig aufreibende Tätigkeit [als Ministerpräsident] verhindert bin, das große Buch fertig zu stellen über die Schandtaten der Presse, das ich im Gefängnis zur Vollendung bringen wollte, aber nicht konnte, weil man mich vorzeitig entlassen hat […] Heute halte ich meinen Kopf hin gegen die Presse. […] Ich will die Freiheit der Presse nicht antasten“ (s.u. Text 26).

Das „Große Buch“ über die Kriegstäterschaft jener Medien, die nach Plan eine sogenannte „öffentliche Meinung“ produzieren, bleibt uns also vorenthalten. Nachfolgend habe ich jedoch für Overton eine Dokumentation von 27 Texten Kurt Eisners (z.T. Auszüge) aus sehr unterschiedlichen Genres zusammengestellt, die uns mit der ihm eigenen antimilitaristischen Satire, mit seiner Sicht des journalistischen Handwerks und seiner scharfen Kritik der Presse-Apparatur als Waffengattung im Krieg vertraut machen können.

Die Prostitution – unter Preis – in den Redaktionsstuben hat Eisner schon im August 1911 drastisch zur Sprache gebracht: „Glücklich der Mann, der noch imstande ist, gegen seine Überzeugung zu schreiben! Er würde beweisen, dass er im tiefsten Innern eine eigene Überzeugung verborgen hält, während er vor der Welt seiner Auftraggeber erzählt, was sie zu hören wünschen.“ (Text 6)

In einem 1918 in der Gefängnishaft entstandenen Bühnentext wird von einem Zeitungshaus-Beschäftigten eine bittere Anklage vorgebracht: „Ihr [Zeitungsmacher] seid eine größere Plage für die Menschheit geworden als Krieg und Pestilenz zusammengenommen. Ich wiederhole: Nur in den Ländern können die Menschen noch richtig denken und fühlen und handeln, wo es mindestens 90 Prozent Analphabeten gibt. […] Dass die Flieger während all der [Kriegs-]Jahre niemals hierhergekommen sind und auf dieses [Zeitungs-]Haus zehn Tonnen Zyankali-Bomben geworfen haben. Das verzeihe ich unseren Feinden niemals. Sie sind wie ich, zu nichts Rechtem zu gebrauchen.“ (Text 22) – Nicht lesen zu können, das wäre somit unter bestimmten Umständen von Vorteil? Tatsächlich hat Eisner später auf einer USPD-Veranstaltung am 12.12.1918 mit Blick auf die Meinungsproduzenten gesagt: „Aber, Parteigenossen, Sie sollten aufhören, Zeitungen zu lesen.“ (Text 27)

In einer öffentlichen Erklärung (26.11.1918) des in den Medien durch freie Erfindungen verleumdeten Ministerpräsidenten steht das Bekenntnis: „Ich habe in den viereinhalb Kriegsjahren so viel Verachtung gegen diese Presse aufgehäuft, dass sie genügt, um mich für den Rest meines Lebens gegen jede Neigung zu festigen, auch nur polemisch mich mit ihr zu befassen.“ (Text 24) Die Redaktionen sollten nur ruhig so viel dummes Zeug schreiben, wie es ihrem geistigen Vermögen entspreche.

Am 30.11.1918 ergänzt Eisner: „Ich bewundere den Mut der Presse, den Mut ihrer Nichtsnutzigkeit. Meine Herren! Sie hätten keinen Journalisten als Ministerpräsidenten hereinsetzen sollen, der kennt den Schwindel […] Ich weiß wohl, was ich zu erwarten habe, wenn ich gegen diese Pest von Presse losgehe. Ich habe keinen Pardon zu erwarten, denn dieses Gesindel wehrt sich seiner eigenen Haut. […] Ich lese seit 3 Wochen keine Blätter mehr. Sie werden mir ab und zu gezeigt. Ich habe keine Zeit dazu. Dieser Press[e]-Alkoholismus, der benebelt nur die Leute, die unglücklichen Menschen, die diese Presse lesen, und ich bin in der glücklichen Lage, keine Zeitung zu halten; aber, wenn ich recht unterrichtet bin, soll dieser einstimmige Beschluss des Ministerrates in keinem Blatte mitgeteilt worden sein“ (Text 26).

 

Dreiteilige Eisner-Reihe der Schalom-Bibliothek

 

Leider zeichnet sich das in der nachfolgenden Dokumentation Dargebotene durch „bleibende Aktualität“ aus. Allen technologischen Neuerungen zum Trotz gibt es heute auch noch immer viele Entsprechungen zu den Strukturen der Kriegsmedienkomplexe vor über hundert Jahren. („Niemand hat so wenig Einfluss auf die Zeitung, wie die Leute, die sie schreiben und redigieren“; Text 9.)

Bei der Zusammenstellung der Artikel, Dichtungen und Reden greife ich zurück auf eine dreiteilige „Eisner-Reihe“ für die Schalom-Bibliothek zu „Pazifisten und Antimilitaristinnen aus jüdischen Familien“, die seit einigen Tagen vollständig vorliegt. Sie besteht aus den Bänden „Texte wider die deutsche Kriegstüchtigkeit“ (= Eisner 2025a), Kurt Eisner als Revolutionär und Ankläger des deutschen Militarismus“ (= Eisner 2025b) und Revolte für den Frieden“ (= Eisner 2025c). Diese „Trilogie“ enthält auch eine biographische Darstellung aus der Feder des Weggefährten Felix Fechenbach sowie – dank freundlicher Unterstützung / Vermittlung des Donat-Verlages – Essays von Helmut Donat, Volker Ullrich und Lothar Wieland.

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29 Kommentare

  1. Sehr interessanter Artikel!
    Was der Autor beschreibt muss man wohl als die wahre Querfront bezeichnen.
    Von Recht bis pseudo-Links zogen alle gemeinsam an einem Strang um Eisner loszuwerden, weil sie alle den wahren Machthabern dienten, deren Macht eben durch Eisner in Frage gestellt wurde.
    Verweise auf Parallelen zum Heute verbieten sich allerdings, denn dies wäre wohl eine „Delegitimierung“ – und die ist schließlich verboten – also bis jetzt zumindest geistig verboten.
    Noch ein kleine Ergänzung zum Artikel:
    https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Geistliche_Schulaufsicht_(19./20._Jahrhundert)
    Eisner beendete die Aufsicht der katholischen und evangelischen Kirche über die allgemeinen Schulen!
    „Sagte der Fürst zum Bischof: Halt du sie dumm, ich halt sie arm!“

  2. Kurt Eisner (1867-1919) zählte zur kleinen Schar jener demokratischen Sozialisten in Deutschland, die sich während des ersten Weltkrieges nicht der militärischen Heilslehre und dem Obrigkeitsstaat unterwarfen.

    Ach so?
    „Am 27. Juli 1914 hielt Eisner die Rede bei der zentralen Friedenskundgebung der Münchner Sozialdemokratie. Darin betonte er, in der Politik des zaristischen Russlands liege die größte Gefahr für den Frieden. Er forderte Frankreich, England und Deutschland auf, gemeinsam „die Kriegsfurie“ zu „erwürgen“. Wenn der Krieg aber einmal ausgebrochen sei, so der von einer russischen Aggression überzeugte Eisner, müsse man das Vaterland verteidigen. Darin der von der Reichsregierung gesteuerten manipulativen Informationspolitik erlegen, begrüßte er bei Kriegsbeginn die Zustimmung der Reichstagsfraktion seiner Partei zu den ersten Kriegskrediten, um den „Vernichtungskrieg gegen den Zarismus“ zu führen.“

    Peinlich.

    1. Was in dem Artikel aber auch nicht verschwiegen wird:

      Dies immunisierte ihn leider nicht gegen alle Propagandakomplexe. Ab 1912 wurde die bayerische SPD über staatliche Kanäle auf die Erzählung „Der Russe lauert vor der Tür“ getrimmt. Man wusste in der Partei, wie man mittels „Geheimwissen“ auch Eisner mit den – in der Sozialdemokratie schon lange tradierten – Scheuklappen eines alsbald sehr nützlichen „Antizarismus“ versehen konnte.
      […]
      Doch da Eisner, der in den ersten Augusttagen 1914 die SPD-Parteilinie – samt Kriegskreditverteidigung – noch voll erfüllte, schnell zu seinem Antimilitarismus zurückfand, die regierungsamtliche Lüge („Russland greift uns an“) durchschaute und sich dann standhaft dem „Burgfrieden“ mit dem Kriegsstaat der Besitzenden verweigerte, verschlechterte sich seine Arbeitssituation noch weiter.

      1. Ist ja schön, dass er „zurückfand“, nur macht das solche Sager nicht besser. Liebknecht hat auch „zurückgefunden“, nachdem er bei der Augustabstimmung sich noch der „Fraktionsdisziplin“ beugte.

        Es gab freilich Leute, die haben sich solche Sager und Beugungen erst gar nicht geleistet und mussten dann auch nicht „zurückfinden“. Die haben den Schmu von Anfang an durchschaut. Manche davon wurden später Teil der Münchner Räterepublik.

        1. Aus ihrer Aussage läßt sich so einiges schließen.
          Erstens, daß das zaristische Rußland wohl friedliebend war und Deutschland alleine am WK1 schuld.
          Zweitens, daß sie so schlau sind, daß sie sich scheinbar niemals irren.
          Und drittens, daß jemand, der sich einmal geirrt hat, grundsätzlich nicht gelobt werden sollte, egal, was er sonst so gesagt und getan hat.

          1. Erstens, daß das zaristische Rußland wohl friedliebend war

            Habe ich das geschrieben? Nein, habe ich nicht. Sie werden das von einem Anti-Etatisten wie mir auch nicht lesen. Ich verwehre mich hier wie in anderen Beiträgen lediglich gegen das mehr als unterkomplexe Russland-Bild, damals wie heute. Und den deutschen Anti-Russismus, eine rassistische Ideologie, die damals gerne mit einem Anti-Zarismus bemäntelt wurde, gerade auch bei der Linken (oder sich als „links“ verstehenden Menschen) Anklang fand und obendrein insbesondere von der Regierung Bethmann ab den späten 1900er Jahren massiv gefördert worden ist. Und ich habe einfach etwas gegen Leute, die sich über anderer Länder Sitte und Systeme ergießen und die den lieben langen Tag kritisieren, während sie zu den Verbrechen vor der eigenen Tür schweigen oder sie gar abstreiten.

            Zur Analyse und Kritik des russischen Tuns in der Julikrise sehr empfehlenswert ist Lievens Towards the flame hier . Um Längen besser und fundierter als die Seelentröstereien von Clark, Münkler und dem schrecklichen Russenfresser McMeekin.

            und Deutschland alleine am WK1 schuld.

            Dass alle beteiligten europäischen Großmächte imperialistisch, kapitalistisch und militaristisch waren, macht sie nicht allesamt gleich. Man kann sehr wohl differenzieren und herausarbeiten wer für die Auslösung des Ersten Weltkriegs stärker oder entscheidend verantwortlich ist. Die deutsche Regierung – in Gestalt von Personen wie Bethmann, Jagow, Zimmermann, Wilhelm II. … – trägt hier eine Hauptverantwortung. Die nationale Rechte versucht natürlich seit 111 Jahren diesen Sachverhalt gezielt zu verschleiern und macht einen moralisch Popanz mittels des gezielten Evozierens eines „Schuldfrage“ – mit durchaus großem Erfolg wie die letzte, gouvernemental wie von den Leidmedien massiv geförderte geschichtsklitternde Welle ab den 2000er Jahren nochmals ausdrücklich unterstrich.

            Wenn man schon die unzweifelhaften Verbrechen des Zweiten Weltkriegs nicht wegschieben kann (die Präventivkriegsthese wird man immerhin bald wieder aufgewärmt bekommen, die Balten, EP und Co. wurschteln ja bereits in diese Richtung), dann will der kleine rechte Deutschling wenigstens in den Ersten Weltkrieg nur „hineingestolpert“ und somit unschuldig, schlicht völlig frei von Verantwortung, sein. Denn wie kann man Sonambulen etwas zeihen? Und um das ganze auszuwalzen, braucht und hat man seine Seelentröster . Doch den Schmu mache ich nicht mit.

            Zweitens, daß sie so schlau sind, daß sie sich scheinbar niemals irren.

            Ich irre mich sogar ziemlich häufig – früher habe ich zum Beispiel gegendert und war bei den Jusos. In meinem Leben habe ich schon so einiges Lehrgeld gezahlt – und ich zahle es gern. Irren ist menschlich und der Entwicklung förderlich.

            Und drittens, daß jemand, der sich einmal geirrt hat, grundsätzlich nicht gelobt werden sollte, egal, was er sonst so gesagt und getan hat.

            Völliger Unsinn, was für eine lächerliche Unterstellung. Klar, ich spreche nur absolute Urteile aus und verurteile alle immer dauerhaft.

            Tue ich aber nicht. Denn wer irrt sich nicht oder macht nicht irgendwelche Fehler? Lob wie Kritik sind schlicht situationsbezogen auszusprechen. Gestern habe ich einen Text des Chefreds dergestalt kritisiert – das heißt keinewegs, dass alle seine Texte in die Tonne zu kloppen seien. Wer eine damnatio memoriae braucht, kann ins Römermuseum gehen.

            Von Engels Schriften beispielsweise nahm ich auch viel mit und teile auch viele seiner Positionen – was mich nicht daran hindert situationsbezogen auf seine mehr als hinterfragenswürdigen Russland-Passagen zu verweisen. Einen Augustin Souchy kann ich hier oft verlinken oder auch einen Thoreau – was mich auch nicht hindert das Zweifelhafte und Hinterfragenswürdige in deren Biografien und Texten aufzugreifen, wo es passt oder notwendig wird.

            Und auch in diesem Artikel bezog ich mich auf eine konkrete Situation. Zu anderen Politiken Eisners habe ich ja überhaupt nicht Stellung genommen. Ich wies hier einfach darauf hin, dass es andere gab, die den genannten Schmu von Anfang an durchschauten und dann gar nicht erst „zurückfinden“ mussten. Solche werden freilich gern verlacht und verhöhnt, denn Kassandras und Kritiker mag keiner.

            1. „Denn wer irrt sich nicht oder macht nicht irgendwelche Fehler? Lob wie Kritik sind schlicht situationsbezogen auszusprechen. “

              Genau das hat der Autor getan. Insofern stellt sich dann die Frage nach Sinn und Intention ihres vorherigen Beitrags.

              „Dass alle beteiligten europäischen Großmächte imperialistisch, kapitalistisch und militaristisch waren, macht sie nicht allesamt gleich. “
              Das wiederum habe ich gar nicht behauptet, sondern im Falle des WK1 eine Alleinschuld bestritten. Und vom hereinstolpern war auch nicht die Rede. Nach meinem Kenntnisstand waren neben Deutschland zumindest Frankreich und England ziemlich geil auf diesen Krieg.

              Zu Münkler:
              Den fand ich mal recht gut, er ist inzwischen aber eine Tröte der Macht. Vielleicht war er auch schon immer einfach ein Opportunist. Habe von einem Freund das aktuelle Buch von ihm geschenkt bekommen und konnte mich schon nach dem Vorwort nicht mehr aufraffen, es weiter zu lesen.

    2. 1. Lesen
      2. Urteilen
      3. Bei eigenen Texten Quellen angeben

      Dies immunisierte ihn leider nicht gegen alle Propagandakomplexe. Ab 1912 wurde die bayerische SPD über staatliche Kanäle auf die Erzählung „Der Russe lauert vor der Tür“ getrimmt. Man wusste in der Partei, wie man mittels „Geheimwissen“ auch Eisner mit den – in der Sozialdemokratie schon lange tradierten – Scheuklappen eines alsbald sehr nützlichen „Antizarismus“ versehen konnte.

      Die SPD hatte jedoch ein zwiespältiges Verhältnis zu ihrem zweifellos profiliertesten Zeitungsmacher. Schon am Vorabend des Weltkrieges hatte dieser unter prekären Verhältnissen gearbeitet, was seinem Klassenstandpunkt auf Seiten der Besitzlosen entsprach. Doch da Eisner, der in den ersten Augusttagen 1914 die SPD-Parteilinie – samt Kriegskreditverteidigung – noch voll erfüllte, schnell zu seinem Antimilitarismus zurückfand, die regierungsamtliche Lüge („Russland greift uns an“) durchschaute und sich dann standhaft dem „Burgfrieden“ mit dem Kriegsstaat der Besitzenden verweigerte, verschlechterte sich seine Arbeitssituation noch weiter.

      Was das „Geheimwissen“ andeuten soll, wüßte ich allerdings auch gern.

      1. Quellen?

        Aber bitte doch: hier

        Der Referent Kurt Eisner führte aus, daß heute nur noch ein in geistigen Dingen mündiges Volk im wahren Sinne wehrhaft sei. Er betonte, daß, wenn es jetzt zum Aeußersten kommen sollte, selbstverständlich auch der deutsche Sozialdemokrat seine vaterländischen Pflichten in vollem Maße erfüllen werde; doch bleibe der Krieg in jeder Gestalt das Ungeheuerlichste aller Schrecknisse, gegen das sich alle Völker sträuben müßten, denen zum Bewußtsein gekommen sei, daß die Menschheit höhere Aufgaben zu erfüllen habe, als sich zu zerfleischen. Der Redner richtete einen flammenden Appell an die Kulturnationen England und Frankreich, dem Zarentum als dem kulturlosen Unruhestifter Europas kraftvoll entgegenzutreten.

        Oberhessische Zeitung vom 28. Juli 1914

        Mhm, „Kulturnationen“, ganz heißer Scheiß. Kolonialistisch-imperialistische Mordbrenner hätte besser gepasst, war aber wohl zu – wahrheitsgetreu und luzid.

        Und wenn ich nach „kulturlosen Unruhestiftern in Europa“ anno 1914 und Vorjahre schaue – dann würde ich statt in die Ferne zu schweifen immer erst mal vor meiner Haustüre mich umgucken. Bei den vier von der Tankstelle in Berlin etwa oder natürlich beim heute so gern verklärten Ehemann von Sissi:

        Franz Joseph war zweifellos derjenige, der den Weg in den Krieg freigemacht hat. Es ist ein Ammenmärchen, dass der Kaiser von kriegslüsternen Militärs und Politikern ausgetrickst worden wäre. (…)

        Der Kaiser wollte also den Krieg.

        Ja, Krieg gegen Serbien – aber keinen Weltkrieg. Da ging Franz Josephs Politik an der Realität vorbei.

        War ihm nicht klar, dass er damit einen Dominoeffekt von gegenseitigen Beistandsvereinbarungen auslöst?

        Das ist schwer zu sagen. Er war sich sicher bewusst, dass Krieg gegen Serbien mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Krieg gegen Russland bedeutet. Da hat er sich aber auf die Waffenbruderschaft mit den Deutschen verlassen. Kaiser Wilhelm II. hat sich ja unmissverständlich geäußert und außerdem wusste er von Plänen der deutschen Heeresleitung, Frankreich binnen sechs bis acht Wochen zu besiegen. Danach wollte man gemeinsam Russland fertigmachen. Bis Weihnachten wollte man dann wieder zu Hause sein.

        Das hat hier ein bürgerlicher österreichischer Prof gesagt. Heutzutage gilt wohl selbst ein solcher Standpunkt bereits als Häresie, obwohl er nicht einmal besonders kritisch oder sonst was ist. Denn „wir“ haben dank Clark, Münkler und Co. gelernt, dass „wir“ in den Ersten Weltkrieg hineinstolperten, schlafwandelten und sowieso der Russe schuld war (hat zuerst mobil gemacht!1!!). [Das SZ-Interview darum nur als Dokumentation wie sich der Diskurs in den letzten zehn Jahren verschoben hat.]

        PS: Auch Liebknecht hat beim ersten Mal für die Kriegskredite gestimmt – nie vergessen, denn das wird gern falsch dargestellt! Und auch Engels Russlandbild war mitunter – ähem, naja sucht’s euch die Passagen selbst.

        1. Danke, neben Wikipedia war das die einzige Quelle die ich bezüglich der Aussage auch fand. Von Eisner habe ich bisher nicht viel verfolgt, außer seinem Wirken in der Münchner Räterepublik. Gibt dazu ein paar Sachen bei marxists.org und anderen Seiten. Ansonsten hab ich’s aus Ernst Toller, „Eine Jugend in Deutschland,“ Oskar Maria Graf, „Wir sind Gefangene-Ein Bekenntnis“ und Sebastian Haffner, „Der Verrat-Deutschland 1918/19.“

          Was Engels betrifft, er war nicht so sehr angetan vom späten Wirken Marxens. Steht zumindest in Kohei Seitos „Systemsturz-Der Sieg der Natur über den Kapitalismus.“

          Worauf möchte ich hinaus? Auch wenn es mglw. den Anschein nicht den erwecken mag, ich sehe die Möglichkeit des Irrtums, der Fehlbarkeit, der Beeinflussbarkeit und mglw. des Eigeninteresses, die Erkenntnis- und Entwicklungsfähigkeit, bei fast allen Menschen, auch den Säulenheiligen. Also hat man am besten Keine. Dann ist man nicht fixiert auf seine Wahlgottheit und kann sich auf Inhalte konzentrieren. Also was etwas taugt und was eher nicht.

          Dies hindert mich nicht Kapital- und u.a. Herrschaftsagenten entgegenzutreten, die wiederholt Propaganda betreiben, wobei jetzt niemand Bestimmtes genannt sein will. Die Bestimmten wissen ohnehin wer gemeint ist.

          1. Gibt dazu ein paar Sachen bei marxists.org und anderen Seiten.

            Danke für Ihre Literaturempfehlugen. Einige kannte ich noch nicht. Thematisch passend erscheint mir noch Der kurze Frühling der Räterepublik von Schaupp hier. Ich habe freilich auch zu wenig gelesen beziehungsweise inzwischen eher zu viel über jene Zeit vergessen. Muss mir m/Mühsam wieder erschließen. Ist aber nicht schlimm – viel erstrebt, wenig geschafft, ist durchaus nicht etwas negatives.

            Was Engels betrifft, er war nicht so sehr angetan vom späten Wirken Marxens.

            Ich wiederum bin nicht so angetan vom späten Wirken Engels…

            Also hat man am besten Keine. Dann ist man nicht fixiert auf seine Wahlgottheit und kann sich auf Inhalte konzentrieren. Also was etwas taugt und was eher nicht.

            Da kann ich Ihnen vollauf zustimmen.

            Man wird bei jedem Leichen im Keller finden oder in seinen Schriften Passagen und Positionen, denen man nicht zustimmen kann. Auch von mir durchaus geschätzte Denker wie Goldman, Epikur, Diogenes, Olga Misař haben so einiges, was ich kritisieren würde. Das bedeutet nicht, dass ich anderen Passagen nicht zustimmen kann. Und es gilt auch für die Kunstwelt – man kann festhalten, dass jemand eine beeindruckendes Kunstwerk oder ein tolles Buch geschrieben hat und trotzdem seine Biografie, bestimmte Positionen und / oder so manche seiner Handlungen kritisch sehen. Von Böll bis Tolstoi.

            Wer Unbefehlbarkeiten, Dogmatismus und Göttliche sucht, sollte darum am besten der Kirche beitreten oder eine aufmachen.

            1. „Was Engels betrifft, er war nicht so sehr angetan vom späten Wirken Marxens.“

              Das hätte ich mehr ausführen sollen. Engels war vom späten Wirken Marx nicht so sehr angetan, da dieser weitere Aspekte miteinbezog, seine Arbeit also weiterentwickelte. Engels fand das lieber unerwähnt. Ein kurzer Auszug, das Kapitel umfaßt im Buch vierzig Seiten, es befaßt sich nicht allein mit Marx und Engels und es sind kleine Faksimiles als Bsp. beigefügt:

              Ein Klassiker als Werkzeug für heute

              Einige Leserinnen und Leser werden sich vielleicht fragen, wieso es gerade im 21. Jahrhundert möglich sein sollte, Marx neu zu interpretieren. Ist das nicht einfach alter Wein in neuen Schläuchen? Zugegeben, es gibt viele Bücher die genau das machen.
              Doch ich möchte hier auf die mit MEGA abgekürzte neue Marx-Engels-Gesamtausgabe aufmerksam machen, ein laufendes Projekt, an dem Forscher aus der ganzen Welt beteiligt sind, darunter auch ich als Japaner. Der Gesamtumfang soll bei Fertigstellung über hundert Bände umfassen. Darunter auch bisher unveröffentlichtes Material, was eine bisher nie dagewesene Größenordnung darstellt.
              Besondere Aufmerksamkeit verdienen hierbei Marx‘ Forschungsnotizen. Während seiner Forschungsarbeit hatte er die Angewohnheit, in seine sogenannten Exzerpthefte gründliche Textauszüge hineinzuschreiben. Da er als Exilant kein Geld hatte, besuchte er jeden Tag das Londoner British Museum, wo er sich Bücher auslieh und bei der Lektüre Exzerpte anfertigte. Die Textauszüge, die er so im Laufe seinen Lebens erstellte, sind sehr umfangreich und beinhalten u.a. auch Ideen und unvollendete Gedankengänge, die es nicht in ‚Das Kapital‘ geschafft haben und so eine wertvolle Primärquelle darstellen.
              (…)
              ‚Das Kapital‘ wurde natürlich bereits gründlich erforscht. Was die Sachlage aber trotzdem kompliziert macht, ist der Umstand, dass Marx seine Erkenntnisse im ‚Kapital‘ letztlich nicht zur Genüge zu Ende entwickeln konnte.
              Dessen erster Band wurde zwar von Marx selbst fertig gestellt und 1867 veröffentlicht, das Manuskript des zweiten und dritten Bandes blieb jedoch unvollendet. Was man heute als Band zwei und drei lesen kann, ist nichts weiter als eine von seinem engen Freund und Förderer Engels posthum bearbeitete und verlegte Fassung. Aufgrund der Differenzen in ihrer beider Ansichten gibt es viele Passagen, in denen die Gedanken des späten Marx im Bearbeitungsprozess verzerrt und unkenntlich gemacht wurden.
              Das liegt daran, dass Marx seine Kritik am Kapitalismus nach der Veröffentlichung des ersten Bandes im Jahr 1868 noch weiter vertiefte, während er gleichzeitig verzeifelt versuchte, auch die nächsten beiden Bände zu vollenden. Oder nein, es handelte sich besser gesagt um einen wichtigen Wandel seiner Theorie. Und genau von diesen Überlegungen des späten Marx können wir einiges lernen, wenn wir denn in der Umweltkrise des Anthropozäns überleben wollen.
              (Kohei Seito, Systemsturz-Der Sieg der Natur über den Kapitalismus, S. 112-113/115)

    3. Danke @ Besdomny, bester Mann.

      Und zum Ostermontag kriegen Sie und unsere Mitleser von mir noch dieses Zitat eines pösen Russen:

      Unter den Augen aller nicht einmal sehr alten Leute unserer Zeit geschah ein Ereignis, welches auf das augenfälligste die Verblödung zeigt, bis zu welcher der Patriotismus die Menschen der christlichen Welt geführt hat.

      Die regierenden Klassen Deutschlands hatten den Patriotismus ihrer Volksmassen bis zu einer solchen Höhe entflammt, dass in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts dem Volke ein Gesetz vorgelegt wurde, demzufolge alle Menschen ohne Ausnahmen Soldaten werden mussten. Alle Söhne, Gatten und Väter wurden im Morden unterrichtet, mussten zu unterwürfigen Sklaven eines jeden höheren Vorgesetzten werden und unweigerlich zum Mord derer bereit sein, die zu morden ihnen befohlen wird. Die Menschen der bedrückten Völkerschaften, die eigenen Arbeiter, die ihre Rechte verfechten, ja sogar ihre eigenen Väter und Brüder mussten sie morden, wie dieses öffentlich der freimütigste aller Potentaten, Wilhelm II., erklärt hat.

      Diese schreckliche Maßregel, die auf die gröbste Weise alle besseren Gefühle der Menschheit verletzt, wurde unter der Einwirkung des Patriotismus ohne Murren von dem deutschen Volke akzeptiert.

      Tja, die Ruhe stiftende, teutsche Kulturnation eben. Damals wie heute.

      (Und wer den Verfasser des Zitats kennt oder errät, darf sich ein Sitzhasenei mehr nehmen.)

        1. Na, was denn? 😉 Etwas christlicher Anarchismus zum Osterfest. Und inhaltlich ist der alte Held der literarischen Arbeit ja auch nicht fern ab vom Schuss.

          Sie haben sich auf jeden Fall Ihr Sitzhasenei verdient. 😉

    4. Im August/ September 1914 war selbst ein so konsequenter Anarchist und Pazifist wie Erich Mühsam von Selbstzweifeln befallen:
      Wenn die Franzosen unsere Brunnen vergiften (wie überall berichtet wird), ist dann nicht die militärische Verteidigung nicht nur erlaubt, sondern notwendig?

      Von solchen Zweifeln war er angesichts der Grausamkeit und Brutalität des Krieges recht bald geheilt. Das Propagandamärchen vom vergifteten Brunnen hielt sich dann auch nicht lange, war irgendwann nicht mehr nötig.

      Wer Parallelen zur heutigen antirussischen Kriegspropaganda findet, der hat Erich Mühsam verstanden.

      Nicht nur peinlich, sondern in höchstem Sinne infam ist es, die Worte Eisners ohne historische Einordnung in die damalige Zeit und Eisners weiterer Entwicklung gegen ihn verwenden zu wollen.

      [Mühsam aus dem Gedächtnis zitiert nach seinen Tagebuchaufzeichnungen]

  3. es gab sie und es gibt sie, die ganz wenigen unter den deutschen, die denkhellen. die „nestbeschmutzer“, die „miesmacher“ und „kritikaster“, deren existenz schon den hass der sehr vielen deutschen minusdenker und nixdichter multipliziert

    1. Hier geht es um dir Zeit vor etwa 110 Jahren. Da war das noch eine Provinz des osmanischen Reiches und hat auch nichts mit Eisner zu tun oder seiner sozialistischen/sozialdemokratischen Regierung in Bayern. 🙄

      Das wurde erst etwa dreißig Jahre später akut. Aber das ist hier nicht Thema.

      1. Das wurde erst etwa dreißig Jahre später akut.

        Äh, nein?

        Der Zionismus ist ja nicht vor 80 Jahren plötzlich vom Himmel gefallen.

        Seine kolonialistischen Wurzeln und auch die kolonialistische Denke vieler seiner Vertreter und Vorreiter vor wie nach der Jahrhundertwende sollte man bitteschön nicht unter den Teppich kehren.

        Selbst ein bürgerlicher Wissenschaftler wie Segev bzw. der DLF wussten übrigens zur Zeit vor 110 Jahren zu schreiben:

        Am 2. November 1917 versichert der britische Außenminister Lord Balfour einem der führenden Repräsentanten der zionistischen Bewegung die Sympathie der britischen Regierung für deren Anliegen.

        “ Verehrter Lord Rothschild, “

        schreibt Arthur Balfour,

        “ die Regierung Seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird ihr Bestes tun, die Erreichung dieses Ziels zu erleichtern (…).“

        Die Erklärung bringt der von Theodor Herzl zwei Jahrzehnte zuvor gegründeten zionistischen Bewegung den Durchbruch auf dem diplomatischen Parkett. Sie markiert zugleich den Beginn der britischen Herrschaft über das vom Völkerbund bestimmte Mandatsgebiet. Soldaten ihrer Majestät haben es gerade der Kontrolle des türkischen Sultans entrissen. Als sie 1948 wieder abziehen, tobt zwischen Juden und Arabern ein Krieg um Palästina – die gewaltsamen Geburtswehen des Staates Israel.

        (…)

        “ Durch die Parteinahme für die zionistische Bewegung glaubten die Briten, die Unterstützung eines starken und einflussreichen Verbündeten zu gewinnen. Dahinter steckte die Vorstellung, dass die Juden den Lauf der Geschichte lenkten – eine Vorstellung, in der sich auf einzigartige Weise klassische antisemitische Vorurteile mit romantischer Verehrung des Heiligen Landes und seines Volkes vermischten.“

        Die Wirklichkeit aber, so Segev, sah anders aus. Gerade mit Blick auf eine der Schlüsselfiguren auf jüdischer Seite: Chaim Weizmann, einem in Russland geboren Chemiker. Er versteht es, sich bei der britischen Regierung Gehör zu verschaffen und pendelt unermüdlich zwischen London und Palästina. Ein offizielles Amt oder eine herausgehobene Funktion innerhalb der zionistischen Bewegung aber bekleidet er nicht.

        “ Die zionistische Bewegung damals vertrat nicht das jüdische Volk, Weizmann vertrat nicht die zionistische Bewegung. Und das ganze Archiv der Bewegung war in einer Schuhschachtel unter dem Bett im Hotel vom Weizmann. Aber die Engländer haben immer gemeint, das ist der König der Juden, und haben ihn so behandelt und so betrachtet. Dass heißt, was wir eigentlich daraus lernen ist, wie stark das unrationelle Element in der Geschichte ist. Das ist ein Mythos natürlich. Und hier sehen Sie einen Fall in der Geschichte, in der ein Mythos eine so wichtige Rolle spielt.“

        Quelle: hier

        Das zum Einstieg, von Segevs Es war einmal ein Palästina und der Kritik daran, kann sich dann zu Shlaim, Losurdo und Co. KG vorgearbeitet werden.

  4. Interessanter Artikel. Schon allein, weil er dazu anspornt, sich näher mit der besagten Person bzw. dieser Zeit zu befassen. Und dabei muss er nicht mit allem richtig liegen. Aber gewisse historische Parallelen werden eben doch immer wieder deutlich.

  5. Die waren mal 70 Jahre lang weg. Aber seit 2014 dürfen sie wieder und es sind genau die, die Eisner beschreibt. Der Unterschied zu heute ist, dass es keinen Eisner mehr gibt.
    Da ist schon ein Schmutzfleck auf seiner Weste:
    „Wenn der Krieg aber einmal ausgebrochen sei, so der von einer russischen Aggression überzeugte Eisner, müsse man das Vaterland verteidigen. Darin der von der Reichsregierung gesteuerten manipulativen Informationspolitik erlegen, begrüßte er bei Kriegsbeginn die Zustimmung der Reichstagsfraktion seiner Partei zu den ersten Kriegskrediten, um den „Vernichtungskrieg gegen den Zarismus“ zu führen.“

    Russland hat schon immer die Putins geliefert. Außenminister Bethmann-Holweg wurde damals gefragt, warum er Russlsand den Krieg erklärt hatte. Um die Stimmen der Sozialdemokraten zu bekommen. So herum wird ein Schuh daraus. Spätestens ab 2014 hätte ihnen diese Täuschung einfallen müssen.

    Eisner ist dann in einer Zange von links und rechts regelrecht demontiert worden. Völlig unverantwortlich von der Linken, die damit eine riesige Chance vertan haben. Wenn im Rest Deutschlands ebenfalls Eisners regiert hätten, wäre es wohl deutlich anders ausgegangen, auch in Bezug auf den Versailler Vertrag. Die Alliierten hatten den Eindruck, dass Deutschland auf Rache sinnt und genau deswegen waren die Verträge so hart. Ein Punkt, auf den Eisner zurecht hinweist.

    1. Junge, was schreiben Sie da? War im Osterei etwas zu viel Hanf?

      Außenminister Bethmann-Holweg

      Der Mann war Reichskanzler! Außenminister war Jagow, von Westipedia als „kein Kriegstreiber“ geadelt. Fritz Fischer intervenieren Sie…

      Dann:

      Die waren mal 70 Jahre lang weg.

      Wer war 70 Jahre lang weg? Die Reaktion? Dass ich nicht lache. Wehrmachtsausstellung, Adenauer-Zeit, Strauß und Co. – ever heard off? Die waren nicht 70 Jahre weg, die gestalten seit 75 Jahren dieses Land!

      Oder meinen Sie die Schlafwandler-These? Die war maximal 40 Jahre zur Seite gedrängt. Clarks Schlafwandler-Unsinn erschien 2011, Furtwänglers Flucht ein gutes halbes Jahrzehnt zuvor und anderer Schmu… ach schauen Sie selbst.

      Der Unterschied zu heute ist, dass es keinen Eisner mehr gibt.

      Es gibt jede Menge Eisners und noch viel „radikalere“ Leute, nur werden die sofort gekauft, unterwandert, weggefischt oder kaltgestellt.

      Eisner ist dann in einer Zange von links und rechts regelrecht demontiert worden.

      Jetzt ist wieder das Hufeisen schuld…

      Völlig unverantwortlich von der Linken, die damit eine riesige Chance vertan hat. Wenn im Rest Deutschlsands ebenfalls Eisners regiert hätten, wäre es wohl deutlich anders ausgegangen

      Die deutsche Sozialdemokratie hatte im Juli / August 1914 die Chance den Krieg zu verhindern. Von mir aus, in Ihrem Sinne: die Eisners regieren zu lassen. Nämlich mittels Generalstreik – wie von der Internationale vorgesehen. Das hätte vielleicht Bürgerkrieg gegeben, wie nach dem 19.07.36, vielleicht auch nicht. Womöglich wäre schlicht das System implodiert – der Kaiser, Moltke, Bethmann und Co. ähnlich dumm da gestanden wie die Herren vom Kapp-Putsch. Ein Kaiser mit Land aber ohne Volk.

      Die deutsche Sozialdemokratie war die scheinbar größte, mächtigste, am besten organisierte Arbeiterkraft in Westeuropa. Der Hammer, der ins Räderwerke der imperialen Kriegsmaschinerie hätte fallen können. Halb Europa wartete darauf. Doch der Hammer hat sich dann lieber entschlossen in jede Menge Zahnräder zu mutieren und die Maschine noch besser ins Rollen zu bringen. Lesen Sie’s bei Kollontai nach, die war im August ’14 in Berlin und im Reichstag. Jede Menge O-Töne, um auch heute noch die Eimer zu füllen. Man wollte eben bloß mehr Bebel wagen:

      Wenn es gegen den russischen Zarismus als Feind aller Kultur und aller Unterdrückten geht, werde selbst ich als alter Knabe noch die Flinte auf den Buckel nehmen.

      1914 hätte die deutsche Sozialdemokratie, angeführt von Ebert, Noske und Co., den Krieg stoppen und die Massen mobilisieren können. Sie hat es nicht getan. Da liegt der Hund begraben. Der deutsche Imperialismus, Kolonialismus und Militarismus war ihr wohl „Kultur“ genug und der teutsche Zarismus, genannt Wilhelminismus, der Rächer aller Unterdrückten…

      Links von der Sozialdemokratie angesiedelten Kräften nach diesem Schandakt einen Strick zu drehen, erscheint mir, vorsichtig formuliert, etwas kontextlos und heikel.

  6. „Eisner, der in den ersten Augusttagen 1914 die SPD-Parteilinie – samt Kriegskreditverteidigung – noch voll erfüllte, (fand) schnell zu seinem Antimilitarismus (zurück)“ und „(durchschaute) die regierungsamtliche Lüge („Russland greift uns an“)“

    Was auch immer Landauer ritt, derartig nationalistisch mitzuschreien, er revidierte relativ zügig seine katastrophale Haltung, und bedauerte seine Zustimmung der Kriegskredite.
    Das zeichnet ihn als einen Menschen aus, der es meiner Meinung nicht verdient hätte, ihn „in die Tonne zu treten“.
    Wie sieht das heute mit den 95% der Menschen aus der Restrampe der aktuellen polit. Linken loau? Die alle WOLLEN sogar heute noch, die 5 Jahre alte regierungsamtliche Lüge hochhalten und propagieren, dass wir alle von einem außergewöhnlich gefährliches Virus angegriffen wurden.

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