
Die Balkon-Kampagne gegen den Immobilienkonzern läuft auf Hochtouren. KQ, Lola Mercedes und Jonathan Rischke feiern ihren großen Sieg! Nicht so Donna Fauna. Die ist stinksauer und sieht die Sache außerordentlich skeptisch. Aber auch die neuen, reichen Freunde des Rechtsanwalts Jonathan Rischke lassen Besorgnis erkennen …
Schon kam die nächste Ausgabe des Stadtmagazins auf den Markt. Am demnächst babypausierenden Chefredakteur vorbei hatte Lola von der Verlagsleitung das OK bekommen, die Story großflächig fortzusetzen.
Sie tat das mit einem Interview mit Jonathan Rischke, der seinen virtuosen Zangenangriff aus engagierter Gentrifizierungskritik und einem Hoch auf die Kreativindustrie wiederholte.
Allerdings gab Lola dem Rechtsanwalt auch ausführlich Gelegenheit, über seinen Mandanten zu plaudern. Rischke beschrieb KQ als einen Avantgarde-Künstler, wie ihn eigentlich nur das Berlin der Neunzigerjahre hatte hervorbringen können, ein Amalgam diversester Lebenswelten. Von theoretisch durchdrungener Radikalität beseelt, weise der Quex herausragende handwerklich-technische Fertigkeiten auf. In Fachkreisen längst kein Geheimtipp mehr, nehme inzwischen auch die breitere Öffentlichkeit dieses junge Genie zur Kenntnis.
Lola hatte unter dem Titel »Die Immobilen« außerdem eine große Reportage geschrieben. Kiezhelden wurden da portraitiert, die gegen ihre drohende Vertreibung gekämpft und auf die eine oder andere Weise siegreich geblieben waren.
So zum Beispiel jener szenebekannte DJ, der in Prenzlauer Berg neun Jahre lang seinen alten Mietvertrag verteidigt hatte, während sich rund um ihn herum eine Mietpartei nach der nächsten zu Unterschriften ködern und zum Auszug hatte nötigen lassen. Der DJ unterschrieb nichts und keilte konsequent juristisch zurück. Im ganzen Haus hatten derweil radikale Baumaßnahmen begonnen. Am Ende war es so weit gekommen, dass das Gebäude außen komplett eingerüstet und innen fast vollständig entkernt war – zu der einzig verbliebenen DJ-Wohnung im dritten Stock hatten ein Gerüst und Baubohlen geführt. Nachdem der DJ trotz dieses aberwitzigen Zustands keinerlei Anstalten gemacht hatte, endlich auszuziehen, sondern unverdrossen über Gerüst und Bohlen in seine Wohnung gestiegen war, wegen des Baulärms und unzumutbarer Wohnumstände jedoch geschlagene zwei Jahre lang die Miete vollständig einbehalten hatte, musste letztlich der Immobilienfonds kapitulieren. Man bot dem DJ für die Räumung der Wohnung sage und schreibe 50 000 Euro an. Die hatte der DJ akzeptiert – und damit den Kredit für eine Eigentumswohnung im Haus gegenüber angezahlt.
Oder jener Haufen von dreißig Punks. Die hatten ein restlos heruntergekommenes Eckhaus in bester Lage in Friedrichshain besetzt und waren einfach nicht herauszubekommen. Der Eigentümer war schier am Verzweifeln gewesen, zumal »Unbekannte« ihm mit Telefonterror, Hackerangriffen und handfesten Sabotageakten zusetzten. Am Ende organisierten sich die Punks Privatkredite zu je 10 000 Euro und kauften dem entnervten Besitzer das Objekt mit Hilfe des Mietersyndikats weit unter Marktwert ab. Inzwischen war rund herum alles adrett herausgeputzt und saniert worden – nur das Eckhaus der Punker hielt als bunter, transparentbehangener Felsen stand!
Oder jene betagte Dame aus Mitte. Deren verstorbener Ehemann, Spanienkämpfer und »Verdienter Aktivist der Partei«, hatte die Wohnung in den stalinistischen Prachtbauten an der Karl-Marx-Allee einst in Anerkenntnis seiner Verdienste für die Arbeiterklasse zugewiesen bekommen. Jetzt lebte die Frau dort alleine und war wild entschlossen, genau auf demselben Kanapee zu sterben, auf welchem ihr Heinz einstmals das Zeitliche gesegnet hatte. Mit allerhand Eingaben, Unterschriftensammlungen, der Organisation eines Nachbarschaftskomitees und dergleichen hielt sich die rüstige Rentnerin über Jahre an Ort und Stelle – und wehrte eine Mietsteigerung nach der nächsten ab.
Als Gegengewicht zu diesen etwas militant geratenen Fallbeispielen brachte Lola ein lesbisches Akademiker-Pärchen aus Kreuzberg 61. Das hatte beste Connections zur Grünen-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung und zum grünen Vorsitzenden des Bauausschusses. Über den konnte die Bebauung einer benachbarten Baulücke abgewendet werden, stattdessen wurde dort ein Kinderspielplatz errichtet, pünktlich zur langersehnten Adoption eines südamerikanischen Buben durch das Pärchen.
Lola hatte eine Aversion gegen grüne Lesben. Lola hasste Geschichten mit Kindern oder über Kinder. Generell mochte sie Kinder nicht. Trotzdem brachte sie als Letztes noch den Fall dieser alternativen Kindertagesstätte, die der Hauseigentümer ebenfalls aus ihren Räumlichkeiten hatte drängen wollen, was unter anderem mit einer Kinder-Demo verhindert worden war.
Die ganze Reportage mit dem Zitat eines Kindes zu beenden, brachte Lola dann doch nicht fertig, obwohl das die Verlagsleitung sicher lieber gelesen hätte als jenen spitzen Verweis auf alle jene Luschen, die im Gegensatz zu den hier vorgestellten »Immobilen« ihre Räumlichkeiten sang- und klanglos aufgegeben, den Versprechungen der Eigentümer vertraut und ohne Nachzudenken jedes Papier unterschrieben hätten, das man ihnen hingelegt hatte.
Und Donna Fauna? Die hatte sich aus dem Balkon-Projekt mehr oder weniger zurückgezogen. Ihre Versuche, aktivistische Kreise für die Sache zu interessieren, Soli-Aktionen und Proteste auszulösen, waren kläglich gescheitert.
Die Berliner Anarchos hatten mit erlesener Häme und offener Feindseligkeit auf Faunas Ansinnen reagiert, und das, obwohl Fauna in diesem Umfeld einen ausgesprochen guten Stand hatte. KQ hingegen ging jegliche militante Ausstrahlung ab. Er hatte nicht den Hauch aktivistischen Stallgeruchs und wurde nach einem Blick auf die Fotos im Stadtmagazin für einen »Kunst-Arsch« und »Digital-Yuppie« befunden. Für den gedenke man keinen Finger zu rühren. Und Rischke? Der mochte sich selbst zum »Flankengott der Hauptstadt-PR« erheben und sich für seinen »Diagonalpass quer übers politische Feld« abfeiern. Zumindest eine Seite des Feldes fiel nicht eine Sekunde auf ihn herein.
Typen wie Rischke kenne man genau, durfte sich Fauna, nicht ohne innerlich zuzustimmen, anhören. Der stehe im Grunde mit beiden Beinen beim Feind und mime den Gentrifizierungsgegner nur, um sich als Kreativ-Anwalt öffentlich in Szene zu setzen. Rischke sei überdies selber drauf und dran, ein veritabler Immobilienhai zu werden, mithin als Bündnispartner indiskutabel – eventuell als Feindbild brauchbar.
Normalerweise hasste Fauna dieses legendäre Berliner Sektierertum, diese schnodderige, miese Stimmung der Linksradikalen. Diesmal war sie stolz auf die Genossen. Die gingen weder Rischke noch Lola Mercedes auf den Leim, die führte keiner so schnell an der Nase herum.
Gut, KQ schätzten die falsch ein, das mit dem Kunst-Arsch war wieder typisch für den Anti-Intellektualismus der Berliner Militanten, für deren bornierte Affinität zur Trash-Kultur. Was denen an KQ spontan missfiel, war genau, was Fauna, Rischke und viele andere als dessen herausragende Stärke erkannten: die Abstraktion seiner Kunst.
Fauna fiel es dennoch ausgesprochen schwer, zu einer ausgiebigen Verteidigungsrede für die Fortschrittlichkeit quexscher Lebenshaltung und Kunstauffassung anzuheben. War ihr doch schmerzlich zu Bewusstsein gekommen, was in ihrer Beziehung seit Monaten ablief, dass sie als KQs emotionaler Mülleimer und Boxsack herhalten musste.
Also widersprach sie gar nicht. Sie war im Grunde froh, mit dieser Misserfolgsmeldung aus dem militanten Lager ihren Rückzug aus dem Balkon-Zirkus begründen zu können. Sie fand die Berichterstattung, die Lola und Rischke professionell inszenierten, sowieso daneben. Und womöglich war ja auch einmal die Frage erlaubt, was sie, Donna Fauna, eigentlich von der Sache hatte? Mal wieder nichts, so sah es doch aus! Wie es mit KQs Dankbarkeit aussah, hatte sie oft genug erlebt. Und an Rischkes weiterem Aufstieg begehrte sie keine Schuld zu tragen.
Und die Mercedes? Ein grundfalsches Luder! Die kokettierte nach Faunas fester Überzeugung aus rein taktischen Erwägungen mit lesbischen Gerüchten. Die kannte für ihren Erfolg keine Skrupel und keine Verwandten.
Was wollte sie, Donna Fauna, ein queeres Identitätsprojekt höherer Ordnung und vollendeter Radikalität, bei diesem schmierigen Haufen, dem alles andere als das eigene Image scheißegal war? Sie gehörte da nicht hin. Sie hatte keine Ambitionen, auf der Dach-Terrasse des Soho mit der Presse im Pool zu plantschen. Sie musste auch nicht aufs Titelblatt des Stadtmagazins. Sie wollte die Welt, wie sie war, und ist bolschewissimo vom Sockel ballern. Darum ging es Donna Fauna!
Daran hatte sich nichts geändert, seit sie 1991, mit zarten sechzehn Jahren, in den kurzen Wochen der Schülerbewegung gegen den damaligen Zweiten Golfkrieg ihr »own private 1968« durchgezogen hatte: erste Drogenerfahrungen, politische Radikalisierung, schwules Coming Out, alles in einem Waschgang, aber gründlich!
Vor sich hin grummelnd lief Fauna durch Prenzlauer Berg. Was war das für ein geiler Kiez gewesen, kurz nach der Wende. Die Prenzlberger waren zu DDR-Zeiten berühmt gewesen für ihre Renitenz. Den Stadtteil hatte die Stasi nie richtig im Griff gehabt. Dazu kam gleich nach dem Mauerfall Verstärkung aus dem Westen. Herrlich war das gewesen, kommunistische Rentner und Asselpunks, revolutionäre Intellektuelle und linksradikale Bohemiens, spirituelle Propheten, Stadtstreicher von Format, belesene Alkis und Trash-Philosophen an jeder Straßenecke …
Wie Fauna so in Nostalgie dahinschwelgte, blieb sie stehen, kramte minutenlang in ihrer Handtasche aus Schlangenlederimitat und legte dann beiläufig aufs linke Hinterrad eines Porsche Cayenne einen Grillanzünder.
Als es dem Wagen den Tank zerriss, schlenderte Fauna ein paar Hundert Meter weiter immer noch die gleiche Straße hinunter und sang lauthals, mit dem schönsten Schmelz ihres Tunten-Tenors »My Hometown« von Bruce Springsteen:
»There was a lot of fights between the black and white / There was nothing you could do / […] In my hometown …«
In seinen besseren und zweitbesten Kreisen galt Rischke mehr denn je als durchtriebener Hund erster Zuchtklasse. Im Soho-House war er ein richtiger Star geworden. Die »Kreativen« und die, die sich dafür hielten oder dafür gehalten werden wollten, trugen ihn förmlich auf Händen. Sie fanden die Balkon-Aktion irre mutig und erklärten ihn zum Vorkämpfer ihrer Sache, deren Inhalt sie bei genauerer Nachfrage freilich nicht benennen konnten.
Die höheren Tiere durchschauten, wie die Linksradikalen, Rischkes Manöver auf Anhieb. Sie klopften ihm schmunzelnd auf die Schulter: »Chapeau, mein Lieber!« Dazu gab es aber auch das ein oder andere Wort freundschaftlicher Warnung. Er solle seine öffentliche Position klug verwalten und es besser nicht gleich übertreiben. Berlin sei eine launische Schnepfe, unberechenbar und hinterhältig. Seine virtuose Inszenierung könne ganz schnell in eine problematische Richtung abgleiten. Dann würde man ihn als Risikofaktor und Hasardeur wahrnehmen und sich vorsichtshalber distanzieren. Er tanze da Tango auf einem sehr schmalen Grat.
Jonathan Rischke war ein vorsichtiger Mann, der stets mitrechnete, wie weit er zu weit gehen konnte. Die Warnungen der medienerfahrenen Haudegen nahm er überaus ernst.
Dass Fauna bei den Militanten auf Granit gebissen hatte, bedauerte er vor diesem Hintergrund nicht im Mindesten. Diese Halbirren hätten sowieso nur für unnötigen Trouble gesorgt. Und ob diese Berufsradikalen ihn nun leiden mochten oder nicht, konnte ihm herzlich gleichgültig sein. Strategisch wichtig war es nicht.
Die für seine Zukunft entscheidende Zielgruppe, soviel hatte sich Rischke längst klargemacht, wohnte nicht in ex-besetzten Hausprojekten oder Antifa-WGs, sondern in Luxuslofts, Townhouses oder am Müggelsee, das waren Kumpels von Günther Jauch, Neo Rauch, von Biolek, Peymann oder Sloterdijk. Magnaten der Kunst- und der Finanzwelt, die Botschafter ernstzunehmender Konzerne und Nationen.
Bei Lichte besehen war diese Balkon-Kampagne wohl kaum das richtige Instrument, in diese Zirkel vorzustoßen. Fast bereute er, sich auf die Sache eingelassen zu haben. Und dass Faunas linksradikale Militanzdeppen nicht einsahen, welches Risiko er ohne jede Not für sie und ihren albernen Kampf gegen eine angebliche »Gentrifizierung« einging, sprach Bände über deren Realitätsverlust! Schon dieses dumme Wort: »Gentrifizierung« Sprachlich eine Katastrophe. Hatten die denn gar keine Ahnung von professioneller PR, von »Agitation und Propaganda«, wie sie es in diesem Milieu wahrscheinlich immer noch nannten?
Dennoch, der öffentliche Hype um seine Person war angenehm und konnte dem Projekt seines Aufstiegs hilfreich sein – vorausgesetzt, gewisse Grenzen wurden nicht überschritten. Die Medienstrategie musste sehr diszipliniert gefahren werden. Message Control war jetzt alles!
Rischke beschickte Lola und KQ mit einer jeweils wortgleichen SMS und beraumte ein neuerliches strategisches Abendessen im Caravaggio an. Fauna bekam keine SMS. Rischke hatte auch gar nicht ihre aktuelle Handynummer.
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