Ein Musikgenie glänzt im Exil

Li Yundi
Meredith, CC BY 2.5, via Wikimedia Commons

Schon mal den Namen des Pianisten Li Yundi gehört? Er tourt gerade durch Europa und wird überall frenetisch gefeiert. Wenn er in Ihrer Nähe auftritt, gehen Sie unbedingt hin. Denn dann haben Sie ein Vergnügen, das 1,4 Milliarden Chinesen vorenthalten wird.

Li Yundi, 1982 geboren in Chongqing, der größten Stadt der Welt – mit 32 Millionen Einwohnern. Im Jahr 2000 gewann er den ersten Preis des Internationalen Chopin-Wettbewerbs. Was das bedeutet, hat der bekannte Musikinfluencer “Lehrer He” in einem Video so erläutert: “Der Literaturnobelpreis wird jährlich vergeben, der Chopin-Wettbewerb findet alle fünf Jahre statt. Jedes Jahr gibt es einen Literaturnobelpreisträger. Die Jury des Chopin-Wettbewerbs verfährt nach dem Motto: Lieber gar kein Preisträger als einer, der des Preises nicht würdig ist. So gibt es seit 1927 nur 17 Preisträger, zwei im Jahr 1949, 1990 und 1995 wurde erstmals kein Preis an jemanden vergeben. Dann kam 2000 der 18-jährige Li Yundi und beendete die 15 Jahre lange Lücke. Seitdem galt er als Musikgenie, der Prinz des Klaviers und als die schillerndste Visitenkarte Chinas. Bis 2021.

Gesellschaft moralisch Makelloser

Im Oktober jenes Jahres wurde in Peking eine junge Frau wegen Prostitution verhaftet – in China ist die käufliche Liebe verboten. Auf ihrer WeChat-Pay-Liste fiel ein Mann namens Li Yundi auf, der ein paar mal 10.000 Yuan an sie zahlte, weit mehr als der übliche Preis.

Daraufhin wurde auch Li Yundi in Gewahrsam genommen, wo er zehn Tage verbrachte. Als er wieder freie Luft atmen durfte, waren sein Ruf und seine Karriere dahin. “Lerer He” beschrieb die damalige Situation so: “Menschen, die in ihrem Leben weder Klaviermusik gehört, noch eine Konzerthalle von innen gesehen haben, die nicht mal wissen, wie ein Klavier aussieht, stehen auf, um Li zu verurteilen. Die Gesellschaft der Musiker Chinas, die sich eigentlich vor die Künstler stellen sollte, distanzierte sich sofort von ihm und schloss ihn aus der Gesellschaft aus, als bestünde sie aus lauter moralisch Makellosen und nicht einfach nur aus Musikern. Seitdem wird Li von den Event- und Schallplattenfirmen gemieden. Li blieb nichts Anderes übrig, als ins Ausland zu gehen.”

Dieses Video mit der Überschrift “Warum sind wir so intolerant?” und andere Videos mit Ausschnitten aus seiner Europa-Tournee gehen dieser Tage im chinesischen Internet viral. Das Video von Lehrer He wurde über 80.000 Mal weitergeleitet, über 50.000 Mal geliked und über tausend Mal kommentiert. Dabei wird der Künstler von allen Usern gelobt, oft mit einem Seitenhieb auf China. Wie zum Beispiel: “Li Yundi gehört der ganzen Welt! Kehre bitte nicht zurück.” “Die Gesellschaft der Musiker war neidisch auf seinen Ruhm.” “Ewige Unterstützung für Li Yundi!” “Gold glänzt überall.” “In China wimmelt es von Denunzianten. Sie verstehen nichts von Musik und haben nur Spaß daran, Prominente zum Fall zu bringen.” Einige stellen dieselbe Frage, wie der Autor dieses Textes: “Wo seid Ihr vor drei Jahren gewesen?” Ein Kommentar ging in die philosophische Sphäre über: “Die Tragödie von Li Yundi ist das Schicksal zwischen einem Genie und einem Mob.”

Jesus und Li Yundi

Ein anderer Influencer namens “Guomin Dage” ist auch auf dem Li-Hype gesurft und hat dabei eine Geschichte aus der Bibel erzählt. Da wurde Jesus von Pharisäern gefragt, was er mit einer Prostituierten machen wolle. Würde Jesus sie nach dem Gesetz der Pharisäer steinigen lassen, wäre das ein Verstoß gegen die von Jesus gepredigte Barmherzigkeit; würde er sie nicht bestrafen lassen, wäre das ein Verstoß gegen das Gesetz. Da sagte Jesus: Wer sich von Euch noch nie etwas hat zu Schulden kommen lassen, darf sie steinigen. Daraufhin gingen die Pharisäer weg und ließen die Frau in Ruhe. Der Influencer sagte dann: “Sind wir, Du und ich eingeschlossen, so unschuldig und sauber? Wenn wir bei jedem beliebigen nachforschen, was er bisher getan hat, dann sieht es aus wie die Kehrseite eines Teppichs, voll unschöner Knoten. All die Medien, die Gesellschaft der Musiker und diejenigen, die Steine auf Li Yundi warfen, seid Ihr alle sauber?”

Das Video mit der Überschrift “Respekt vor anderen und Selbstachtung für sich selber” wurde über 100.000 Mal weitergeleitet, über 200.000 Mal geliked. Selten gehen alle Kommentare in dieselbe Richtung: Unterstützung für Li Yundi und den Influencer. “Sie sprechen uns aus dem Herzen! Sie sind ein weiser Mensch mit einem guten Herz.” “Möge unsere Gesellschaft Talente wie Li Yundi tolerant behandeln. Niemand ist vollkommen. Auch ein Künstler ist ein Mensch.” “Was hat Li Yundi verbrochen? Weder ist er verheiratet, noch hat er eine feste Freundin. Er hat niemanden verletzt. Was er in seiner Freizeit macht, geht uns nichts an”, um nur drei zu zitieren.

Die Rettung des Musikgenies

Eine bekannte Pädagogin sieht im tiefen Fall vom Li Yundi vor drei Jahren und der Reaktion auf sein Comeback in Europa in den sozialen Netzwerken die Mainstream-Kultur in China. “Einerseits werden die Starken von den Chinesen bewundert. Der Erfolg kann viele kritische Stimmen zum Verstummen bringen und die Wende im Storytelling schaffen. Andererseits ist die Intoleranz ein Merkmal unserer Kultur. Die Masse liebt es, auf anderen herum zu treten und Steine in den Brunnen zu werfen, wenn jemand bereits reingefallen ist. Aber auch solche Wiederauferstehungsgeschichten werden gerne gesehen.” Wie sollen Kinder in einer solchen Gesellschaft erzogen werden? Das ist ihr eigentlicher Punkt. Ein paar Vorschläge hat sie für die Eltern parat: Kinder sollten nicht zu brav sein und zu sehr auf anderer Meinung achten. Sie sollten wachsam sein gegenüber potenziellen Feindseligkeiten und sich notfalls verstellen, um dem Mainstream zu folgen. Und sie sollten sich auf ihren eigenen Weg fokussieren. Die User sind nicht alle einverstanden mit diesen Vorschlägen. Einer schreibt: “Statt sich zu verstellen und dem Mainstream zu folgen, sollen die Kinder raus aus China und eine andere Luft einatmen.” Andere wünschen Li eine glänzende Zukunft außerhalb Chinas. “Ich habe Li Yundi immer bewundert. China zu verlassen ist der einzig richtige Weg. Wünsche ihm viel Erfolg im Ausland.” “Gut, dass wir im Zeitalter des Internets leben. So können wir Lis Musik im Netz bewundern. Er soll dort bleiben, wo er respektiert wird.”

Ein weiterer Influencer kann vom gesellschaftlichen Todesurteil über Li Yundi von 2021 auch etwas Positives abgewinnen. Er meint, vor diesem Vorfall war Li dabei, in den chinesischen Unterhaltungskreis abzudriften. Er war ein gern gesehener Gast in den Talkshows und nahm an mehreren Unterhaltungssendungen teil. Über Nacht wurde er alle Positionen und allen Ruhm los und hatte nur noch sein Klavier. In diesem Sinne haben die damaligen Denunzianten wahrscheinlich ein Musikgenie gerettet.

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8 Kommentare

  1. Probier das mit der Prostituierten doch mal in Frankreich oder Schweden. Da ist es nämlich auch verboten und nicht nur im bösen China.
    Was für ein bescheuerter Propagandabeitrag. Ich hoffe der CIA (oder wer auch immer für PsyOp in den USA zuständig ist) zahlt für den Müll wenigstens gut.

    1. Ich finde die Artikel von Guan Xin immer wieder lehrreich.

      Aus dem aktuellen Text tropft mehrfach hochprozentiger Klassismus:

      Menschen, die in ihrem Leben weder Klaviermusik gehört, noch eine Konzerthalle von innen gesehen haben, die nicht mal wissen, wie ein Klavier aussieht, stehen auf, um Li zu verurteilen.

      Was hat ein Konzertflügel mit einem Prostitutionsverbot zu tun? Das Argument fordert Sonderrechte für von der Natur mit besonderer Begabung beschenkte Personen, was typisch für Gesellschaften mit verwahrlosten Eliten ist und eine Form der Korruption darstellt.

      Die Tragödie von Li Yundi ist das Schicksal zwischen einem Genie und einem Mob.

      Wieder knüppeldicker Klassismus mit zusätzlicher Abwertung der Niederen, die es wagen.

      Es gibt auch noch typisch bildungsbürgerliche Belehrungen mittels sinnverkehrter Bibel-Argumente:

      Da wurde Jesus von Pharisäern gefragt, was er mit einer Prostituierten machen wolle.

      Die Prostituierten steht für eine Untere im Klassensystem. Der Autor scheut sich nicht, dieses Bibel-Argument, das gerade anti-klassistisch intendiert ist, auf den Kopf zu stellen und dann mit diesem negierten Bibelzitat für den Geldgeber und nicht wie in der Bibel für die auf das Geld Angewiesene zu argumentieren.

      Und zum krönenden Abschluss werden die vorausgegangen klassistischen Argumente vom Autor selbst negiert und nun fordert er plötzlich eine Sonderbehandlung für den Menschanteil seines geliebten musikalischen Genies:

      Auch ein Künstler ist ein Mensch.

      Also sollen im Grunde die Gesetze für alle Menschen nicht mehr gelten? – Frechheit siegt. Besonders in Kreisen wo ein tiefes Grundgefühl besteht, dass auch in Diskussionen strenge Hierarchien zu gelten haben.

      Lehrreich finde ich solche Texte, weil sie zeigen, dass es überall Menschen gibt, die vor noch so windschiefen Argumentationsketten nicht zurückschrecken, und Journalisten wie die der Tagesschau überall auf der Welt – China, Russland, Iran usw. – gebildete Personen finden können, die ganz in ihrem Sinn in die Mikrophone sprechen.

  2. „Mit drei Jahren begann er, Akkordeon zu spielen, und gewann bereits mit vier Jahren den Chongqing Kinder-Akkordeonwettbewerb“

    Danke, möchte nicht tauschen!

  3. Ich kann mich des Eindrucks kaum erwehren, dass der Autor hier pikanterweise in der Art eines Zuhälters agiert, wenn er das Musikgenie nur benutzt, um seine ganz eigene Rechnung aufzumachen.

  4. Blicken wir nach Deutschland, so können wir vor unserer eigenen Tür kehren.
    Hausdurchsuchungen gegen Radio Dreyeckland
    Die absurden Ermittlungen von Polizei und Staats­anwaltschaft gegen uns kosten leider nicht nur Zeit und Nerven, sondern auch Geld zur Finanzierung der juristischen Hilfe.
    Ausforschung von Radio Dreyeckland sollte sogar Hörer:innen treffen
    https://rdl.de/Hausdurchsuchungen
    https://rdl.de/beitrag/es-geht-um-die-pressefreiheit-der-bund-freier-radios-und-verdi-dju-zum-verfahren-gegen-radio
    —-
    ntv
    Verstoß gegen Vereinigungsverbot Radioredakteur wegen Verbotsverstoß angeklagt
    18.04.2024, 15:52 Uhr
    In einem Bericht verlinkt ein Redakteur des linken Radiosenders „Dreyeckland“ eine verbotene linksextremistische Vereinigung. In Karlsruhe beginnt ein Prozess gegen ihn. Die Gewerkschaft Verdi bezeichnet den Prozess als Eingriff in die Pressefreiheit.

    15 Monate nach der Durchsuchung von Radio Dreyeckland hat der Strafprozess gegen einen Redakteur des Freiburger Senders begonnen. Dem 38-Jährigen wird vorgeworfen, mit dem Verlinken einer Internetseite weiteres Handeln einer verbotenen Vereinigung unterstützt zu haben.

  5. Soll das klimpernde Genie doch froh sein, dass es jetzt in dem Freiheitsstall lebt, in dem Zahlungsfähige alles Erdenkliche den Weibern zumuten können, was ihrem widerwärtigen Ego so einfällt. Die EU-Politik im befreiten Osteuropa hat die hiesigen Puffs ja mit ganzen Generationen von verarmtem Frischfleisch gefüllt. Ein Paradies, wenn auch ein etwas schmieriges! Und zukünftig muss er noch nicht mal besonders gut Klavierspielen, weil er als ein vom Bösen verfolgter Dissident bis in alle Zeiten von arte und anderen Kulturpropagandisten gehätschelt werden wird als eine unglaublich interessante Persönlichkeit, die mit ihrem harten Schicksal jedenfalls ‚unsere‘ hegemonialen Ansprüche auf das Reich der Mitte untermauert. ‚Wir‘ werden sie schon noch befreien, die Chinesen, und dann haben ‚unsere‘ Sextouristen-Flieger nach Thailand ja auch mal eine Alternative! Und wenn das bedauerliche Musikgenie dann wieder kostenpflichtig daheim vögeln darf, dann haben wir das perfekte ‚Happy End’…

    Im Ernst: Es ist kaum zu glauben, mit welchem Schmarrn die Fans des regelbasierten Wertewestens die Leute agitieren wollen…

  6. Einerseits hat „Guan Xin“ hier ein wirkliches Problem angeschnitten, das wilde chinesische Internet. Das hat eher weniger mit der kommunistischen Partei und ihrer angeblich so furchtbaren Diktatur zu tun, aber sehr viel mit den gesellschaftlichen Sitten einer in beispiellosen und beispiellos schnellem Wandel befindlichen Gesellschaft von 1,4 Milliarden Menschen.

    Das rigide (offizielle) Prostitutionsverbot wird in China diskutiert, auch kontrovers. Dass die „Friseurläden“ und „da feiji“ Realität sind, und die Polizei dagegen eher pragmatisch vorgeht, was auch eine Quelle von Korruption ist, ist nichts chinaspezifisches oder übermässig originelles. China lebt mit dem Erbe der vorrevolutionären Epoche, in der es der Puff für den Rest der Welt war, und der harten Prüderie der kämpfenden Kommunisten, die bis heute Wertvorstellungen prägt.

    Das Internet ist ein weiteres Kapitel. Im Westen und dem Gerüchte und Klatsch streuen durch Guan Xin kommt fast nur die Netzzensur (oder eher Moderation) durch „Golden Wall“ etc. zur Sprache. Meist unerwähnt bleibt „RRSS“ (Menschenfleischsuche), das Doxxing und der Ostrazismus eben nicht nur, wenn auch meist, gegen korrupte Beamte und Politiker. Die Politik reitet bis zu einem gewissen Grad auf dieser nicht immer sehr sauberen Welle, versucht zu lenken und einzudämmen. Sie respektiert die Volkssouveränität und versucht, nicht immer mit Erfolg, das Abgleiten in Mob Rule zu verhindern, mindestens zu mässigen.

    Guan Xin, mit Verlaub, ist eine verlogene Figur. Er/sie/div weidet sich genüsslich an solchen Skandälchen. Nehmen wir mal an, der Pianist sei Russe statt Chinese, und erkläre sich mit der Sonderoperation einverstanden und solidarisch. Wie oft dürfte er im freien Westen noch klimpern? Besser, er sagt nichts darüber, was er von zwei oder vielen Geschlechtern etc. hält, sonst ist seine Karriere hier in der Freiheit schnell vorbei. Cancel Culture, das gibts doch nur im totalitalala China, oder?

  7. Mich hätte die Geschichte des Klaviers in China und chinesischer Komponisten interessiert (nicht wirklich). Wer ehrlich ist, endet dann sofort bei der Kulturbringung des Westens, also deren Kulturimperialismus. Denn mit einem solchen Produkt haben wir es hier zu tun. Das würde anfangen mit Jesuitenschulen, wenn man mal 2 Sek. sucht und so Sätzen wie „Die Geschichte der Klaviermusik in China ist noch relativ jung.“ Nein! Doch! Oh!

    Der Fehler ist auch, dass dieser international gewiefte Kulturvertreter und Selbstvermarkter nicht einmal Teil eines Fusion-Projektes ist, wie das z.B. mongolische Folk-Musik versucht, meist voll von West-NGOs gesponsert. Es ist komplett Oberschichtenmusik weißer Reicher, die von chinesischen Reichen (und Solchen, die es werden wollen) nachgeahmt wird, genauso wie sie Gucci oder Lui Vuitton kaufen und sich so von westlicher Konsumkultur bereichern lassen. Wer es sich in China leisten kann und diese westliche Kultur mag, schickt auch seine Tochter auf eine westliche Musikhochschule im Ausland für die Klassikausbildung.

    Oft ist es mittlerweile so, dass viele westliche Produkte nur noch in der Nische als Luxusprodukte ihr Dasein fristen, bzw. nur noch das Label westlich klingt. Die Teile selbst kommen aus Sweat Shops auf der ganzen Welt verteilt. Dazu kommt dieser Wahn der westlichen Imperialisten von wegen „Kauft nicht beim Chinesen“, zumindest solange bis sie ihre ehemalige Kolonie wieder voll unter Kontrolle haben, während wir gleichzeitig in chinesischen Produkten, oft sogenannter Tschinatrash, quasi ersaufen, in den Müllbergen davon, die in riesigen Containerschiffen zu uns gebracht werden. Also wenn chinesische Händler auf der Welt Elektronik- und Plastikmüll verbreiten, dagegen sind unsere Behörden angeblich hilflos, aber wehe sie haben Technik, die wir nicht haben.

    Verlogenes Pack, wohin man blickt.

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